personalmagazin 10/2017 - page 78

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MANAGEMENT
_AGG
personalmagazin 10/17
S
eit über zehn Jahren verbietet
das Allgemeine Gleichbehand-
lungsgesetz (AGG), Beschäftig-
te und Bewerber wegen ihres
Geschlechts, Alters, ihrer Religion oder
Weltanschauung, sexuellen Identität,
ethnischen Herkunft oder einer Behin-
derung zu diskriminieren. Das gilt für
das laufende Arbeitsverhältnis, aber
auch für die Stellenausschreibung und
das Einstellungsverfahren. Die Lernkur-
ve der Arbeitgeber war in diesem Punkt
sehr steil, Personaler haben sich schnell
angeeignet, wie Stellenanzeigen zu for-
mulieren sind.
Doch nach wie vor stellen sich prak-
tische Probleme, gerade bezüglich des
Faktors „Alter“. Denn angesichts des de-
mografischen Wandels machen sich Un-
ternehmen über die Altersstruktur ihrer
Belegschaften intensiv Gedanken. Wenn
nun jedoch bei einer Stellenausschrei-
bung oder bei einem Entwicklungs-
programm für Führungsnachwuchs
vorrangig junge Leute angesprochen
werden sollen, birgt dies einige Tücken
im Hinblick auf das AGG.
Das Dilemma spiegelt sich auch in
den aktuellen Entscheidungen des Eu-
ropäischen Gerichtshofs (EuGH vom
28.7.2016, Az. C-423/14) und des Bun-
desarbeitsgerichts (BAG vom 26.1.2017,
Az. 8 AZR 848/13) wider, die sich mit
der rechtsmissbräuchlichen Geltendma-
chung von Ansprüchen nach § 15 AGG
infolge einer erfolglosen Bewerbung
befassen. Der im Jahr 1973 geborene
Kläger hatte sich bei einer Versicherung
Von
Ralf-Dietrich Tiesler
auf eine Trainee-Stelle für Hochschul-
absolventen beworben und fühlte sich
aufgrund der ohne vorangegangenes
Vorstellungsgespräch erteilten Absage
wegen seines Alters und Geschlechts
diskriminiert. In der Stellenanzeige
wurden Bewerber angesprochen, bei de-
nen der Abschluss der Berufsausbildung
nicht länger als ein Jahr zurückliegt.
Aus dem Inhalt des Bewerbungs-
schreibens und weiteren Umständen aus
dem „Vorleben“ des Klägers folgerte das
BAG zunächst, dass es ihm nicht um eine
Einstellung gegangen sei, sondern um
die Möglichkeit, nach einer Absage eine
Entschädigung zu fordern. Daher bat das
BAG den EuGH, darüber zu entscheiden,
ob auch Kandidaten Diskriminierungs-
schutz genießen, die erkennbar nur auf
eine Entschädigung aus sind.
AGG-Hopping als Geschäftsmodell
Die Luxemburger Richter führen zwar
aus, dass sich eine Person, die sich in
betrügerischer oder rechtsmissbräuchli-
cher Absicht nur formal bewirbt, nicht
auf Antidiskriminierungsrecht der
EU berufen kann. Zugleich stellen sie
in ihrer Entscheidung aber sehr hohe
Anforderungen an die Annahme eines
Rechtsmissbrauchs durch Scheinbewer-
ber. Das Missbrauchsverbot greife nicht,
wenn die fraglichen Handlungen des
(Schein-)Bewerbers eine andere Erklä-
rung haben könnten als nur die Erlan-
gung eines ungerechtfertigten Vorteils.
Der achte Senat des BAG ist den Vorga-
ben des EuGH Anfang des Jahres gefolgt
und hat seine ursprüngliche Würdigung
des Falls revidiert. Der Einwand des
Rechtsmissbrauchs sei nur begründet,
wenn sich die konkret zur Entscheidung
anstehende Bewerbung lediglich als Teil
eines auf Entschädigung angelegten
„Geschäftsmodells“ erklären lasse. Die
abschließende Würdigung des Sachver-
halts wird jetzt das LAG vorzunehmen
haben, an welches die Erfurter Richter
den Fall zurückverwiesen haben.
Für Arbeitgeber sind die verschärften
Anforderungen an die Darlegung eines
Rechtsmissbrauchs unerfreulich, denn
es wird in der Praxis noch schwieriger,
Angriffe von AGG-Hoppern abzuwehren.
Selbst wenn ein Bewerber in der Vergan-
genheit ein Verhaltensmuster gezeigt
hat, das auf AGG-Hopping schließen
lässt, ist nicht gerichtsfest aufgezeigt,
dass auch die aktuelle Bewerbung
rechtsmissbräuchliche Ziele verfolgt.
Transparenz minimiert Risiken
Für die Praxis der HR-Abteilung bedeu-
tet das:
• Personalverantwortliche sollten stets
auf Anzeichen für eine Scheinbewer-
bung achten: Im Anschreiben wird
wiederholt darauf hingewiesen, dass
der Kandidat schon älter ist oder unter
einer Schwerbehinderung leidet. Auch
Ausführungen dazu, wie schwer es als
Mann oder Frau sei, eine passende Stel-
le zu finden, lassen die Alarmglocken
schrillen. Das gilt ebenso für ausufern-
de Beschreibungen bisheriger Tätigkei-
ten und Erfahrungen ohne Bezug zur
Stellenausschreibung.
• Die Personalabteilung muss alle Be-
werbungen daraufhin sichten, ob die
Anforderungen erfüllt werden. Bewer-
Die Messlatte erhöht
ÜBERBLICK.
Für Unternehmen ist es nach einem BAG-Urteil schwerer, Scheinbewerber
abzuwehren. Sie müssen den Umgang mit verdächtigen Bewerbungen neu justieren.
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