personalmagazin 8/2016 - page 38

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MANAGEMENT
_WISSENSCHAFTSTRANSFER
personalmagazin 08/16
D
ie Debatte um „Arbeit 4.0“
dreht sich selten um die
schier unbegrenzten Überwa-
chungsmöglichkeiten durch
Arbeitgeber. Wenn aber etwa der Daily
Telegraph eine kleine Box namens „Oc-
cupeye“ in den Büros einführt, wenn
Amazon die Geschwindigkeit und Effek-
tivität der „Picker“ in der Logistik misst,
wenn Apps wie „Betterworks“ oder „Xo-
ra“ rund um die Uhr zur Produktivitäts-
kontrolle eingesetzt werden und eine
Mitarbeiterin wegen der Deinstallation
der Tracking-Software gefeuert wird,
wenn also die technischen Möglichkei-
ten zur Überwachung von Mitarbeitern
auch in der Freizeit und fernab des Ar-
beitsplatzes lückenloser werden, wäh-
rend die Kosten daür sinken, dann ist es
angebracht, über die Eindämmung der
Kontrollmöglichkeiten zu diskutieren.
Was man sich merken sollte
Anhand einer Fülle von zum Teil alar-
mierenden Gerichtsverfahren zeigen
die Autoren der Studie, mit der wir uns
diesmal beschäftigen, dass und wie US-
Von
Martin Claßen
und
Christian Gärtner
Die gläsernen Mitarbeiter
SERIE.
Neue Technologie bedeutet neue Überwachungsmöglichkeiten. Das wirtschaft-
liche Interesse ist groß, doch es ergeben sich rechtliche Probleme – und moralische.
amerikanische Firmen ihre Mitarbeiter
nicht nur überwachen, sondern auch zu
gewünschtem Verhalten erziehen (siehe
Abbildung „Arbeitsplatz-Kontrolle“).
Zentrales Thema sind Apps zur Über-
wachung der Produktivität, also Soft-
ware, mit deren Hilfe die Leistung von
Mitarbeitern gemessen, ausgewertet
und gesteigert werden soll. Teil dieses
Elf-Milliarden-Dollar-Geschäfts sind An-
wendungen, die E-Mails, Tastenanschlä-
ge, Mausbewegungen, Webseitenaufrufe
und vieles mehr analysieren. Längst
messen Unternehmen über Salesforce
oder ähnliche Software, was etwa Top-
Vertriebsleute ausmacht. Das Wissen
um deren Netzwerke erlaubt Vorhersa-
gen darüber, wer ein guter Verkäufer ist
oder sein wird. Damit wird klar, warum
Microsoft viel Geld für Linkedin ausge-
geben und Facebook einen Ableger im
Geschäftsumfeld gegründet hat („Face-
book at Work“): Analysieren zu können,
wer mit wem vernetzt ist und wie oft die-
se Person mit wem in Meetings steckt,
(ver-)heißt Leistungsdaten oder sogar
Umsatzzahlen vorhersagen zu können.
Ein aktueller Trend ist die Verknüpfung
von reinem Zählen mit Kollegenbewer-
tungen und spielerischen Anreizen zur
Selbstoptimierung. Ein Anbieter, Bet-
terworks, bietet eine solche Umgebung,
die Elemente sozialer Medien mit spie-
lerischer Selbstoptimierung verbindet:
Mitarbeiter sollen Ziele erreichen, um in
den nächsten Level aufzusteigen — und
alle Kollegen können das sehen und be-
werten, ganz im Sinne der Online-Kultur.
In der digitalen Arbeitswelt steht der
Mensch wirklich im Mittelpunkt — der
aber entpuppt sich als Brennpunkt.
Das zweite Thema der Studie sind
Gesundheitsprogramme. So lässt bei-
spielsweise der Handelsriese Walmart
die Daten seiner Mitarbeiter daraufhin
untersuchen, welche Arzneien sie ver-
schrieben bekommen haben oder wann
sie Verhütungsmaßnahmen absetzen. In
Deutschland kaum denkbar — und trotz-
dem bleibt klar: Datensammlung und
Verhaltenssteuerung durch „Well-being-
Programme“ gibt es in fast jedem großen
Unternehmen. Nicht selten werden per-
sönliche Gesundheits-Bestrebung über
(monetäre) Anreize und Sanktionen in
den Dienst der Optimierung organisati-
onaler Arbeitsleistung gestellt.
Für wen oder was das Ganze gilt
In den USA gibt es keine Gesetze auf
Bundesebene, die vor der unbegrenzten
Kontrolle schützen. Für europäische Ar-
beitgeber wird die Datenschutz-Grund-
verordnung der EU, die ab Mai 2018
zur Anwendung kommt, bindend. Damit
existiert ein länderübergreifendes Ge-
setz, das natürliche Personen stärker
schützt als in den USA. Zusätzlich zu
datenschutzrechtlichen Themen sind
Zu oft hakt es noch am Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis. Darum
stellen der Berater Martin Claßen und der Wissenschaftler Christian Gärtner im Personal-
magazin die Kernergebnisse internationaler Studien vor und ziehen Schlussfolgerungen
für das deutsche HR-Management. In diesem Serienteil geht es um die Studie „Limitless
worker surveillance“, die kommendes Jahr in der Fachzeitschrift „California Law Review“
erscheinen wird.
(bej)
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