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12/16 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Konto von Glück oder Pech geht. Für
eine Antwort darauf braucht es Zweier-
lei. Erstens müssen alle Beteiligten dafür
sensibilisiert werden, dass sie die Rolle
des Zufalls systematisch unterschätzen.
Das schließt Manager, Mitarbeiter und
sonstige Stakeholder mit ein, die ein Inte-
resse am (Miss-)Erfolg einer Organisation
haben. Denn sie sind es, die durch Mit-
telfreigabe oder Mittelentzug selbstver-
stärkende Mechanismen in Gang setzen
können. Das ist alles andere als leicht,
weil die westliche (Wirtschafts-)Welt vom
Machertum überzeugt ist und den funda-
mentalen Attributionsfehler von Gene-
ration zu Generation weitergibt. Helfen
können die Erfahrung der eigenen Un-
zulänglichkeit (etwa durch Simulations-
und Rollenspiele, externe Perspektiven
oder biografische Anekdoten wie jene von
Bill Gates) und Forschungsergebnisse
wie sie in dem hier besprochenen Arti-
kel zu finden sind. Zweitens muss der
Einstellungswandel flankiert werden
durch neue Anreizsysteme und Arbeits-
kontexte. Günstlingswirtschaft (etwa
in der Nachfolgeplanung) muss ausge-
schaltet werden, ohne dass die positiven
Effekte der sozialen Vernetzung leiden.
Das hieße beispielsweise, dass es zwar
Mentoren-, Fürsprecher- oder „Buddy“-
Programme geben kann, diese Personen
aber nicht in die Beförderungsentschei-
dung eingebunden werden sollten.
Aus Praxissicht weitergedacht
Wenn Glück eine so große Rolle spielt,
was kann man dann Managern raten?
Dass sie ein glückliches Händchen ha-
ben sollten? Damit ist natürlich nieman-
dem geholfen, aber der Hinweis zeigt,
wie hilflos die Versuche sind, dem Zu-
fall habhaft zu werden. Sämtliche „Emp-
fehlungen für die Praxis“ scheitern an
der zentralen Eigenschaft von Zufällen,
dass sie einem eben zufallen und nicht
geplant werden können. Zwei „Empfeh-
lungen“ haben wir dann aber doch: eine
fußballerische und eine mikrobiologi-
sche Weisheit.
Kommentatoren von Fußballspielen
wissen, dass Mannschaften ihr „Glück
erzwingen“ können. Das stimmt inso-
fern, als Erfolg statistisch ziemlich zu-
fällig ist und die Steigerung der Zahl von
Angriffen die Anzahl an Erfolgen erhöht.
Man ersetze nun nur noch „Angriffe“
durch Neuproduktentwicklungen, Per-
sonaleinstellungen, Angebotspräsentati-
onen, Akquise- und Verkaufsgespräche,
Übernahmeversuche und so weiter.
Die „mikrobiologische“ Weisheit ist das
bekannte Bonmot von Louis Pasteur: „Das
Glück bevorzugt den, der darauf vorberei-
tet ist.“ Dann heißt es einerseits, Wissen
und Fähigkeiten eher breit als tief aufzu-
bauen, weil man nicht weiß, wo einen der
Zufall trifft und welche Qualifikationen
sich mit ihm zu Erfolg verbinden. Ande-
rerseits gilt es eine Einstellung zu entwi-
ckeln, die den eigenen Anteil in Zweifel
zieht und nicht nur Machbarkeitsphan-
tasien träumt. Vorbereitet sein heißt
auch realistisch bleiben und den Einfluss
Fortunas anzuerkennen. Denn Erfolg auf
der ganzen Linie lässt sich nicht einfach
„machen“ – auch nicht im Fußball.
MARTIN CLASSEN
führt seit
2010 sein Beratungsunter-
nehmen People Consulting.
PROF. DR. CHRISTIAN
GÄRTNER
ist Inhaber der
Professur für BWL an der
Quadriga Hochschule Berlin.
Nach dem Motto „Wer (Glück) hat, dem
wird gegeben“, zementieren sich nach
und nach soziale Ungleichheiten. Umge-
kehrt können kompetente Manager und
Mitarbeiter in einen Abwärtsstrudel ge-
raten. Immer dann, wenn sie für Miss-
erfolge verantwortlich gemacht werden,
obwohl sie gut geplant und tüchtig um-
gesetzt haben, es aber ungünstige Ereig-
nisse außerhalb ihres Einflussbereichs
gab. Und solche Ereignisse häufen sich
in einer volatilen, unsicheren, komple-
xen und mehrdeutigen Wirtschaft, der
sogenannten VUCA-Welt.
Für wen oder was das Ganze gilt
Dem Zufall kann sich niemand entzie-
hen. Deshalb gelten die hier dargestell-
ten Einsichten für alle Branchen, jede
Organisation und alle ihre Mitarbeiter —
gerade in hoch dynamischen Umwelten.
Wichtigster und nachdenklichster Satz
Der wichtigste Satz ist ein Zitat von Bill
Gates über seine Erfolgsgeschichte: „Ich
wäre überrascht, wenn es auch nur 50
andere Teenager gegeben hätte, bei de-
nen die Ausgangsbedingungen ähnlich
waren wie bei mir. Eine unglaublich
glückliche Verkettung von Umständen
führte dazu, dass ich näher an der Ent-
wicklung von Software dran war als ir-
gendjemand anderes zu der Zeit“.
Der nachdenklichste Satz lautet: „In
den USA wird Glück systematischer un-
terschätzt als in vielen europäischen Län-
dern, weil zu sehr daran geglaubt wird,
dass jeder durch harte Arbeit und Kom-
petenz erfolgreich sein kann. Über selbst-
verstärkende Effekte führt das dazu, dass
weniger in Sozialsysteme investiert wird
und die soziale Ungleichheit zunimmt.“
Konsequenzen fürs HR-Management
Für HR ist die Rolle des Zufalls für al-
les relevant, was mit Karrierefragen
zu tun hat, allen voran Beförderungen,
Kündigungen und Vergütung. Zentral
ist dabei die Frage, wer wie viel verdient
und wie viel des Mitarbeiter- oder Un-
ternehmenserfolgs eigentlich auf das
Zu oft hakt es noch am Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis. Darum
stellen der Berater Martin Claßen und der Wissenschaftler Christian Gärtner im Personal-
magazin die Kernergebnisse internationaler Studien vor und ziehen Schlussfolgerungen
für das deutsche HR-Management. In diesem Serienteil geht es um den Überblicksarti-
kel „Good night, and good luck: Perspectives on luck in management scholarship“, der
in der Fachzeitschrift „The Academy of Management Annals“ erschienen ist.
(bej)
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