Personalmagazin 11/2016 - page 19

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Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Sichergestellt wird die Transparenz
auch durch durchgängig einsehbare In-
formationswege. „Interne E-Mails gibt es
nur zur Organisation von Geburtstags-
geschenken“, erklärt Löw. Alle anderen
Kommunikationsprozesse sind über ein
Chatprogramm (Slack) und Google Docs
organisiert. Hier gibt es auch eine Ge-
haltsübersicht inklusive der Formelbe-
rechnung. Auch die Vertragsunterlagen
liegen auf einem entsprechenden Lauf-
werk.
Transparenz braucht Diskussion
Doch fühlt sich tatsächlich jeder Mit-
arbeiter mit dieser völligen Offenheit
wohl? „Es gab bei der Einführung keine
echten Probleme“, erklärt Firmengrün-
der Thylmann, denn gegen das System
als solches sei niemand gewesen. Wohl
aber gab es kontroverse Diskussionen
über die Ausgestaltung des Modells.
„Deshalb war es wichtig, dass wir uns
hier ausreichend Zeit genommen ha-
ben, das System gemeinsam mit dem
Team zu entwickeln.“ Nach einem ers-
ten grundlegenden Workshop, in dem
das Thema und seine Auswirkungen
vorgestellt wurden, hatten die Mitar-
beiter eine gewisse Bedenkzeit und
Zeitfenster für Fragen und Diskussion.
Erst dann wurde die Formel gemeinsam
diskutiert und vereinbart. In einem
zweiten Workshop wurden die Gehäl-
ter, die als Einstellungsgehälter noch
im nicht-transparenten Modus verein-
bart worden waren, zeitgleich offenge-
legt und auf die Formel angepasst. Viel
Raum nahm auch, erinnert sich Thyl-
mann, die Auseinandersetzung darüber
ein, wie mit zu erwartenden Problemen
umgegangen werden sollte. So sei bei-
spielsweise allen schon damals klar
gewesen, dass unter Umständen auch
eine Einstellung vorgenommen werden
könnte, die den jetzigen Gehaltsrahmen
sprengt, aber trotzdem vom Gesamt-
team gewollt ist.
Die vielen Diskussionen darüber sieht
Thylmann positiv: „Zum einen arbeiten
wir in einem Umfeld, in dem das alltäg-
liche Arbeiten aus Ausprobieren und
einem grundsätzlich iterativen Vorge-
hen besteht. Von Anfang an war deshalb
auch allen klar, dass unsere erste For-
mel nicht der Weisheit letzter Schluss
ist.“ Und zum anderen, ergänzt Perso-
nalexpertin Löw, haben die Auseinan-
dersetzungen über die Ausgestaltung
der Formel auch dazu beigetragen, den
Kollegen näher zu bringen, dass Gehalts-
gestaltung nicht strenge Wissenschaft,
sondern vielmehr ein auf Menschen und
konkrete Verhältnisse bezogenes Abwä-
gen sei.
Für Start-ups wie für alle anderen
Immer wieder hören die Verantwort-
lichen von Giant Swarm im Austausch
mit Kollegen anderer Firmen, das Argu-
ment, dass „so etwas“ eben nur in Start-
ups möglich sei. Dem tritt Thylmann
entschieden entgegen: „Gehaltstranspa-
renz ist ja nichts, was Start-ups erfun-
den haben. Im öffentlichen Dienst, im
Mindestlohnbereich und – dem anderen
Extrem – der Vorstandsvergütung, gibt
es das ja schon. Daher würden wir hier
keine Einschränkung sehen.“
Doch es gelte schon: Je kleiner, desto
einfacher. Auch der zweite Schritt auf
demWeg zumoffenen Unternehmen, den
Giant Swarm gegangen ist, indemdas Ge-
halt neuer Kollegen vom Team bestimmt
wird, eigne sich, räumt Löw ein, sicher
tendenziell besser für Unternehmen, in
denen eine hohe Wertschätzungsorien-
tierung herrsche, wo das Gehalt nicht
der ausschließliche Motivator ist und wo
Anreize durch Beteiligung am Unterneh-
menserfolg wie durch Mitarbeiterbeteili-
gungsmodelle bestehen.
Dennoch: Die Zuversicht, dass mehr
Unternehmen ihrem Beispiel folgen
könnten, ist ungebrochen. Thylmann:
„Wir glauben, dass sich Gehaltstranspa-
renz durchaus auch da umsetzen lässt,
wo es schon mehr „historisch“ Gewach-
senes gibt, sofern keine gravierenden
Ungerechtigkeiten vorliegen. Denn –
was man nicht vergessen sollte – zu
hundert Prozent uneinsichtig sind Ge-
hälter nie - und die „Halbwahrheiten“,
die daraus resultieren, können teilweise
viel gefährlicher sein.“
© GIANT SWARM
Tabuthema Gehalt? Belegschaft und Führung von Giant Swarm sehen das ganz anders.
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