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10/15 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
fach sind die Fragestellungen so komplex
geworden, dass sie nicht ohne externe,
gerade auf die Bearbeitung der anstehen-
den Fragen spezialisierte Experten gelöst
werden können. Also kommt es häufig
zu einer Zusammenarbeit von internen
Kräften und Externen in den Herzstücken
der Scrum-Projekte, in den Sprints.
Die Entwicklungsteams werden aus
internen und externen Spezialisten zu-
sammengesetzt. Interne und Externe
haben folglich sehr engen Kontakt. Es
können sich Abläufe einbürgern, die auf
den ersten Blick so aussehen, als würden
Interne und Externe in gleicher Weise
wie und als Arbeitnehmer des beauftra-
genden Unternehmens arbeiten.
Scrum meets Law
Dem Arbeitsrechtler bleibt mangels ei-
gener Rechtsform von Scrum nur, die
tradierten Rechtsformen und -regeln
auf die konkret vorgefundene Spielart
von Scrum anzuwenden. Diese Regeln
können nicht allzu genau passen. Die
Rechtsanwendung wird unsicher, häufig
auch wenig vorhersehbar.
Für die Unsicherheit stehen Schlagwör-
ter wie „Scheinwerkvertrag“ oder „ver-
deckte Arbeitnehmerüberlassung“. Als
Risiko wird gesehen, dass sich externe
Kräfte während des Projekts oder danach
als Arbeitnehmer einklagen könnten.
Manche Unternehmen ergreifen um-
fangreiche, vielleicht auch überzogene
Sicherungsmaßnahmen. Das Bundesar-
beitsministerium – das, siehe Tarifplu-
ralität, nicht für klare und praktikable
Regelungen steht – plant für den Herbst
erste Gesetzentwürfe zur (Neu-) Regelung
von Leiharbeit und Werkverträge.
Wie Scrum kein eigener rechtlicher
Vertragstypus ist, so ist es umgekehrt
auch keine feste und unabänderlich in
irgendwelchen Regelwerken festge-
schriebene Organisationsform für Ar-
beit. Damit lässt sich Scrum im Grunde
an viele Vertragstypen anpassen und
entsprechend ausgestalten. Im Zusam-
menhang mit Scrum kommt der Einsatz
von Drittkräften mit Arbeitnehmerüber-
lassung, Dienstverträgen, Werkverträ-
gen oder auch mit anderen rechtlichen
Konstrukten in Betracht.
Arbeitnehmerüberlassung als Mittel
Aus rechtlicher Sicht kann der IT-Dienst-
leister seinem Kunden Drittkräfte im Zu-
sammenhang mit Scrum ohne Weiteres
in Form der Arbeitnehmerüberlassung
stellen. Die arbeitsrechtlichen Schwie-
rigkeiten sind dann nahezu vollständig
vermieden: Die Drittkräfte können voll-
ständig in gemischte Teams mit eigenen
Mitarbeitern integriert werden. Theore-
tisch – auch wenn bei Scrum nicht vor-
gesehen – könnte ein Mitarbeiter des
Kunden den überlassenen Mitarbeitern
Weisungen in jeglicher Form erteilen,
ohne dass das rechtliche Konstrukt ge-
fährdet würde.
Die Arbeitnehmerüberlassung erweist
sich bei Scrum-Projekten jedoch in viel-
fältiger Hinsicht als unpassend und birgt
grundsätzliche Schwierigkeiten:
• Der IT-Dienstleister benötigt eine Ar-
beitnehmerüberlassungserlaubnis. Al-
lerdings verfügen viele IT-Dienstleister
über eine solche Erlaubnis. Im Übrigen
sind die bürokratischen Hürden zur
Erlangung einer Arbeitnehmerüberlas-
sungserlaubnis nicht allzu hoch.
• Der IT-Dienstleister hätte die Regeln
von „Equal Pay“ und „Equal Treatment“
(§ 9 Nr. 3 Arbeitnehmerüberlassungsge-
setz - AÜG) anzuwenden; den von ihm
überlassenen Arbeitnehmern hätte er
also dieselben Arbeitsbedingungen zu
gewähren wie vergleichbaren Kollegen
des Kunden. Dies bringt einigen IT-
Dienstleistern erhöhten bürokratischen
und finanziellen Aufwand, wenn – was
in der IT-Branche nicht selten ist – keine
Tarifverträge angewendet werden .
• Die IT-Kräfte sind häufig keine Arbeit-
nehmer des IT-Dienstleisters, sondern
werden von diesem als Freelancer her-
angezogen. Die Arbeitnehmerüberlas-
sung setzt jedoch schon begriffsnotwen-
dig ein Arbeitsverhältnis zwischen den
überlassenden Unternehmen (auch hier
IT-Dienstleister) und dem entleihenden
Unternehmen voraus. Freelancer kön-
nen nicht im Wege von Arbeitnehmerü-
berlassung gestellt werden.
• Eine Arbeitnehmerüberlassung spie-
gelt nicht die Interessenlage der Ver-
tragsparteien: Im Falle der Arbeitnehmer
überlassung schuldet das überlassende
Unternehmen dem Entleiher grundsätz-
lich eine ordnungsgemäße Auswahl der
zu überlassenden Personen. Das wirt-
schaftliche Risiko für die Tätigkeit an
sich und für die Qualität des Ergebnisses
trägt der Entleiher im Rahmen einer Ar-
beitnehmerüberlassung selbst. Tatsäch-
lich wird der Kunde hingegen regelmäßig
wollen, dass der Dienstleister auch für
die Qualität des Produkts einsteht.
Natürlich können die rechtlichen Rah-
menbedingungen einer Arbeitnehmer
überlassung modifiziert werden. Das
ist Ausfluss der Vertragsfreiheit. Aber
für die Dienstleister hieße dies: Haf-
tung ohne Einflussmöglichkeiten. Im
Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung
würde dem Kunden auch die fachliche
Weisungsbefugnis für die Mitarbeiter
des Dienstleisters zufließen. Damit hätte
einzig der Kunde Einfluss auf den Ablauf
und das Ergebnis des Scrum-Projekts.
Unter solchen Vorzeichen wird kaum ein
Dienstleister für die Qualität der Arbeit
einstehen oder auch nur die vertragsge-
rechte Erstellung sowie Gewährleistung
oder Haftung übernehmen.
VIDEO
In diesem Video, das Sie in der Perso-
nalmagazin-App anschauen können,
erklärt André Häusling von HR Pioneers,
wie Agiles Arbeiten funktioniert.
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