personalmagazin 07/2015 - page 34

34
MANAGEMENT
_PERSONALDIAGNOSTIK
personalmagazin 07/15
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
sellschaft an –, wobei nicht beschrieben
wird, wie genau sich die Referenzgruppe
zusammensetzt. In den Gutachten der
folgenden Anbieter finden sich nur we-
nige Informationen zur Interpretation:
Neuro IPS, PCM Process Communica-
tion Model, Thomas und Reiss Profile.
Es wird zwar beispielsweise angegeben,
dass die Ausprägungen des Teilnehmers
bezüglich der gemessenen Lebensmotive
niedrig oder hoch sind, aber es fehlt die
Erklärung, im Vergleich wozu die Werte
niedrig oder hoch sind (Reiss Profile).
Angaben zur Normgruppe sind Pflicht
Alle Gutachten, die normorientiert in-
terpretieren, nennen zwar eine Norm-
gruppe (siehe Tabelle), unterlassen es
aber, diese Normgruppe hinreichend zu
beschreiben. Dies stellt einen eklatanten
Mangel der Gutachten dar. Die Leser des
Gutachtens müssen wissen, wie viele
und welche Personen (zum Beispiel Al-
ter, Bildung, Beruf) die Vergleichsgruppe
darstellen und wann diese Daten erho-
ben wurden. Nur dann ist es möglich zu
beurteilen, ob die Stichprobe der Norm-
gruppe zur Fragestellung passt, hinrei-
chend umfassend ist und ob die Daten zu
genüge aktuell sind. Diesbezüglich nützt
es in der Regel auch wenig, auf andere
Quellen zu verweisen. Gute Anbieter
aktualisieren kontinuierlich ihre Norm-
datenbank, sodass die Informationen im
Testmanual gegebenenfalls veraltet sind,
während auf der Webseite Informationen
zur aktuellen Normgruppe stehen, die
nicht der Normgruppe des Erhebungs-
zeitpunkts entspricht. Daher gehören de-
taillierte Informationen zur Normgruppe
in das Gutachten.
Zu erwähnen ist noch, dass imGutach-
ten zu Social Style & Versatility sowohl
die Ergebnisse des Selbstberichts des
Teilnehmers – sprich seine Antworten
im Fragebogen – als auch die Ergebnisse
aus einer Befragung, zum Beispiel von
Kollegen oder Mitarbeitern bezüglich
des Verhaltens des Teilnehmers, berich-
tet werden. Diese Ergebnisse werden ei-
nander gegenübergestellt. Im Gutachten
zum MPPI wird anhand der Persönlich-
keitsmerkmale des Teilnehmers ange-
geben, wie gut dieser für 18 typische
Berufsfelder, wie zum Beispiel EDV und
IT oder Forschung und Entwicklung, ge-
eignet ist. Wie dieser Eignungsquotient
errechnet wird, bleibt aber unklar.
Qualität des Gutachtens wichtig
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die
Gestaltung der Gutachten ein wichtiger
Nebenaspekt der Qualität von Persön-
lichkeitsfragebogen ist. Eine hochwer-
tige Gestaltung ist zwar kein Ersatz für
die tatsächliche Qualität des Fragebo-
gens, dürfte aber dennoch entscheidend
für die Wirkung sein. Am Beispiel der
analysierten Gutachten wird deutlich,
wie heterogen die Gutachten gestal-
tet sind. Bislang sind die – vermutlich
interindividuell und einsatzbezogen
unterschiedlichen – Effekte der Gestal-
tung aber nicht hinreichend erforscht.
Daher kann die Empfehlung nur lau-
ten, sich im konkreten Einzelfall vor
der Entscheidung für einen Anbieter
mit den Gutachten zu beschäftigen und
hinsichtlich Ausführlichkeit, grafischer
Aufbereitung, sprachlichem Niveau und
Adressat der Formulierungen auf die
Angemessenheit für die jeweilige Frage-
stellung und Zielgruppe zu achten.
Einige Mindeststandards lassen sich
allerdings aus allgemeinen Qualitätsstan-
dards ableiten: Ein Gutachten zu einem
Persönlichkeitsfragebogen ist nur nach-
vollziehbar, wenn das zugrunde gelegte
Persönlichkeitsmodell und die Persön-
lichkeitsdimensionen erläutert werden.
Es muss nachvollziehbar erklärt werden,
wie die Ergebnisse interpretiert wurden
(normorientiert, kriterienorientiert oder
ipsativ). Sofern eine normorientierte In-
terpretation vorgenommen wurde, muss
die Bezugsgruppe, an der die Normdaten
gewonnen wurden, hinsichtlich zentraler
Merkmale wie Alter, Bildungsstand und
Berufserfahrung beschrieben werden.
Es ist anzugeben, wie viele Personen die
Normgruppe umfasst und in welchem
Zeitraum die Daten erhoben wurden.
Diese Angaben sollten Bestandteil des
Gutachtens sein, da sie von zentraler Be-
deutung für die Nachvollziehbarkeit der
Interpretation sind.
Zudem sollte die Darstellung der Ergeb-
nisse unter Berücksichtigung der Mess-
genauigkeit und Gültigkeit erfolgen; so
sollte die Messtoleranz angegeben sein.
Eventuell auftretende Widersprüche in
den Ergebnissen sollten adressatenge-
recht erläutert werden.
Die Kunden können und sollten also
die Qualität der Fragebogen und der Gut-
achten bedenken und durch ihr Nach-
frageverhalten Druck auf die Anbieter
ausüben, Mindeststandards einzuhal-
ten. Die Forschung ist gefragt, sich ver-
stärkt mit den Wirkungsmechanismen
von Gutachten zu beschäftigen, um lang-
fristig über Mindeststandards hinaus
Gestaltungsempfehlungen ableiten zu
können.
PASCALE STEPHANIE
BOTHE
ist Mitarbeiterin am
Lehrstuhl für Psychologische
Diagnostik an der Justus-
Liebig-Universität Gießen.
PROF. DR. MARTIN
KERSTINGhat den Lehrstuhl
für Psychologische Diagnostik
an der Justus-Liebig-Universi-
tät Gießen inne.
Die Kunden sollten
durch Nachfragen Druck
auf die Anbieter von
Persönlichkeitsfrage­
bogen ausüben, damit
diese die Mindest­
standards einhalten.
1...,24,25,26,27,28,29,30,31,32,33 35,36,37,38,39,40,41,42,43,44,...84
Powered by FlippingBook