personalmagazin 07/2015 - page 33

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07/15 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Zudem haben wir untersucht, inwie-
fern der theoretische Hintergrund zum
Fragebogen im Gutachten erläutert ist.
Denn es gibt nicht die eine Persönlich-
keit. Persönlichkeitsfragebogen basieren
auf Persönlichkeitstheorien – und davon
gibt es eine Vielzahl, die empirisch un-
terschiedlich gut bestätigt sind (siehe
den Beitrag „Persönlichkeit ist keine
Typfrage“ in Personalmagazin 12/2013).
Diese Hintergrundinformation sollte in
jedem Gutachten dargestellt werden,
oder das Gutachten muss explizit auf zu-
gängliche Quellen mit entsprechenden
näheren Informationen verweisen. Es
muss zumindest dargestellt werden,
welche Persönlichkeitsdimensionen ein
Fragebogen zu messen beansprucht.
Diesen Anspruch erfüllen alle von
uns untersuchten Gutachten: Es wird
zunächst mehr oder weniger ausführ-
lich die zugrunde liegende Idee der Fra-
gebogenkonstruktion erklärt und der
Einsatzbereich kurz erläutert. Welchen
Anteil am gesamten Gutachten die Hin-
tergrundinformationen jeweils ausma-
chen, variiert allerdings erheblich: Die
extremsten Beispiele sind Harrison As-
sessments und Social Style & Versatility
(anteilig und absolut am wenigsten Hin-
tergrundinformation) und DNLA sowie
Pawlik (anteilig und absolut am meisten
Hintergrundinformation). In mehreren
Gutachten wird bei Bedarf nach mehr
Hintergrundinformationen entweder auf
die Internetseite des Anbieters (zum Bei-
spiel Motiv-Struktur-Analyse MSA) ver-
wiesen oder angeboten, Mitarbeiter des
Anbieters telefonisch oder via E-Mail zu
kontaktieren (zum Beispiel bei Pawlik).
Messgüte selten dargestellt
Kritisch ist zu bewerten, dass die Gut-
achten nur unzureichend über die
Messgüte der Fragebogen informieren.
Einige Gutachten erwähnen zwar am
Rande auch die Hauptgütekriterien des
Fragebogens (zum Beispiel MPPI), aller-
dings wird in keinem Gutachten genau-
er auf die Qualität des Fragebogens ein-
gegangen. Dabei ist bekannt, dass jede
Messung mit einem Fehler behaftet ist.
Es ist daher gute Praxis, nicht nur über
den gemessenen Wert zu informieren,
sondern anhand der Reliabilität des Ver-
fahrens auch das sogenannte Konfidenz­
intervall anzugeben. Dieser, auch Ver-
trauensintervall genannte Bereich, gibt
an, inwiefern sich bei einer bestimmten
Wahrscheinlichkeit der wahre Wert von
dem gemessenen Wert entfernen kann.
Bei Geschwindigkeitskontrollen im Stra-
ßenverkehr erwartet jeder Verkehrsteil-
nehmer, dass die Ordnungskräfte Mess­
toleranzen berücksichtigen; die von
uns analysierten Gutachten verzichten
hingegen auf die Angabe von Konfidenz­
intervallen. Damit wird implizit sugge-
riert, man könne die Persönlichkeit
punktgenau messen.
Fehlende Hinweise zur Interpretation
Eine große Herausforderung bei Persön-
lichkeitsfragebogen stellt die Interpreta-
tion dar. Wenn ein Teilnehmer auf einer
sechsstufigen Zustimmungsskala von
1 (keine Zustimmung) bis 6 (vollkom-
mene Zustimmung) der Aussage „Ich
kann besser auf Menschen zugehen als
viele andere“ mit dem Wert 4 zustimmt,
ist unklar, ob dies als niedrige, durch-
schnittliche oder hohe Kontaktfähigkeit
zu interpretieren ist. Während es bei
einem Leistungstest ein „falsch“ oder
„richtig“ gibt, werden in Persönlichkeits-
fragebogen in der Regel Selbstauskünfte
herangezogen, die sich einer Bewertung
als falsch und richtig entziehen und die
auch nur schwer in direkten Bezug zu –
auf anderen mentalen Repräsentationen
und subjektiven Metriken beruhenden
– Selbstauskünften anderer Personen
gesetzt werden können. Dennoch muss
man für die Interpretation einen Ver-
gleichsmaßstab heranziehen.
Man unterscheidet dabei vergleichs-
gruppen-/normorientierte, kriteriums­
orientierte und ipsative Interpretationen
von Testergebnissen. Bei der normorien-
tierten Interpretation vergleicht man
den gemessenen Wert mit dem Wert
anderer Personen. Vorab muss entschie-
den werden, welche anderen Personen
sinnvollerweise für einen Vergleich he-
rangezogen werden können. Bei der kri-
teriumsorientierten Interpretation wird
der Soll-Wert aus einer Beschreibung des
gewünschten Zielverhaltens abgeleitet.
Man beschreibt, was die getestete Person
in Bezug auf das Zielverhalten besonders
gut oder schlecht gemacht hat. Bei der
Sehstärke würde man beispielsweise die
gemessene Sehstärke mit der in einem
bestimmten Beruf geforderten Sehstär-
ke (dem Kriteriumswert) in Verbindung
bringen und die Zielwerterreichung oder
aber die Abweichung interpretieren. Na-
türlich kann man das Kriterium wiede-
rum normorientiert bestimmen, indem
man zum Beispiel als Kriterium die
Zugehörigkeit zu den 15 Prozent Besten
ansetzt. Bei der ipsativen Interpretation
von Testwerten wird lediglich ein intra-
individueller Vergleich vorgenommen:
Wo liegen relativ zur eigenen Person die
Stärken und die Entwicklungsfelder? Ein
Beispiel ist die Motiv-Struktur-Analyse
MSA: Für 18 verschiedene Motive wird
jeweils angegeben, welcher der zugehö-
rigen zwei Antriebe beim Teilnehmer
stärker ausgeprägt ist. Häufig werden
für Fragebogen mit einer ipsativen Aus-
wertung „Forced Choice“-Antwortfor-
mate genutzt, das heißt, die Person muss
beispielsweise ankreuzen, welches von
zwei Eigenschaftsworten sie besser be-
schreibt.
Alle von uns untersuchten Gutachten
beschreiben nur unzureichend, wie die
Ergebnisse interpretiert wurden. Bei
einigen Anbietern ist es möglich, dass
vorab ein Soll-Profil erstellt wird. Die
Ergebnisse der diagnostizierten Per-
son können dann mit dem vorher fest-
gelegten Profil verglichen werden. Das
Anlegen eines solchen Profils ist bei
Harrison, DNLA und Profiling Values
möglich. Wie genau die Erstellung eines
Profils vor sich geht, ist den Gutach-
ten aber nicht zu entnehmen. Profiling
Values bietet sowohl einen Abgleich mit
einem vorher festgelegten Profil als auch
mit der Referenzgruppe der Gesamtge-
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