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personalmagazin 12/15
MANAGEMENT
_EIGNUNGSDIAGNOSTIK
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
ne reine Verhaltensbeobachtung bisher
möglich war. Das IFP will den Test bei
der Vertriebs- und Führungskommuni-
kation nutzen und dabei zum Beispiel
die Sprachmerkmale der erfolgreichsten
Vertriebsmitarbeiter als Referenzgrup-
pe nehmen. „Die Mitarbeiter bekommen
dann Hinweise, wie sie überzeugender
wirken können“, so Bäcker. Dass der
Verkaufserfolg von Sprachmerkmalen
abhängt, sei zwar eine Hypothese, aber
„eine, für die es viele gute Gründe gibt“.
Bei Precire handele es sich um einen
vielversprechenden Ansatz, der „aber
noch nicht durchgängig auf wissen-
schaftlich abgesichertem Boden steht“.
Das könne man zwar machen, erklärt
Uwe P. Kanning, Psychologieprofessor
an der Hochschule Osnabrück. Das Pro-
blem bei dieser Art der externen Validie-
rung sei jedoch, dass man nicht wisse,
ob die erfassten Merkmale der erfolg-
reichen Mitarbeiter auch tatsächlich mit
deren Leistungsfähigkeit zusammen-
hängen. „Wenn alle guten Mitarbeiter
Schuhgröße 42 haben, ist es dennoch
nicht sinnvoll, neue Mitarbeiter nach
der Schuhgröße auszuwählen“, erklärt
Kanning. „Das ist gewissermaßen eine
illusorische Korrelation.“ Man komme
daher nicht darum herum, auch nach-
zuweisen, dass die Schuhgröße (oder
bestimmte Sprachmerkmale) direkt mit
dem Erfolg zusammenhängen.
Referenzkunden zurückhaltend
Bei der Zeitarbeitsfirma Randstad ist
Precire bereits im Einsatz. „Bei Randstad
nutzen wir Precire seit September 2014
in der Personalauswahl mit einem über-
zeugenden Ergebnis“, wird HR-Direktor
Andreas Bolder auf der Psyware-Website
zitiert. Auf Nachfrage erklärt Randstad,
dass der Sprachtest nur bei der Suche
von internen Mitarbeitern eingesetzt
werde, die man „weniger nach Fachkom-
petenz, sondern eher nach Persönlich-
keitsmerkmalen auswähle“. Als Kunden
werden in einem Faz.net-Artikel vom
20. Mai 2015 auch die Accor Hotels ge-
nannt. Das System sei in eingegrenztem
Rahmen mit Führungskräften als Ein-
zelprobelauf getestet worden, schreibt
Eike Kraft, Pressesprecher bei den Accor
Hotels. Es befinde sich heute in keiner
Weise bei Accor Hotels im Einsatz und
sei auch nicht für einen Einsatz geplant.
Messverfahren nicht offengelegt
Angelika Braun, Professorin für Pho-
netik an der Universität Trier, sieht die
Auswertungen von Precire kritisch.
„Man kennt die Algorithmen nicht und
das Messverfahren wird nicht offenge-
legt“, kritisiert Braun, die auch Leiterin
des Fachbereichs Sprechererkennung,
Tonträgerauswertung und Linguistische
Textanalyse beim Bundeskriminalamt
Wiesbaden war. Zwar verweise Precire
auf einige durchaus seriöse Studien, doch
man wisse nicht, wie diese in der Soft-
ware berücksichtigt werden. Zudem hät-
ten sich die Forscher in den Studien stets
mit bestimmten Fragestellungen beschäf-
tigt und keine Gesamtuntersuchung ge-
macht, was das für die Persönlichkeit be-
deutet. Bei Negationen heißt es etwa, dass
sie speziell bei depressiven Fragestellun-
gen „entscheidende Kategorien“ seien.
Bei der erwähnten Studie geht es um
„Linguistische Marker von depressiven
Dynamiken in Selbsterzählungen“. Das
hat jedoch nichts mit Personalauswahl zu
tun. „Das Ganze basiert auf den beiden
Grundannahmen, dass das stimmlich-
sprachliche Verhalten konstant ist und
es eine 1:1-Beziehung zwischen diesem
Verhalten und Charaktereigenschaften
gibt“, erklärt die Vizepräsidentin der In-
ternational Society for the Phonetic Sci-
ences. Doch beides treffe nicht zu. „Ob
ich am Abend davor ein paar Gläser ge-
trunken habe, erkältet bin oder rauche,
hat alles Auswirkungen auf bestimmte
Audio-Parameter“, erklärt Braun. „Die
stimmlichen Merkmale sind daher ganz
und gar nicht konstant innerhalb einer
Person.“
Beim Blick auf meine Auswertung fal-
len ihr sachliche Fehler auf. So zähle man
bei der „Basislinguistik“ im Deutschen
aufgrund der oft langen Wortzusammen-
setzungen keine Wörter, sondern Silben.
Auch werde die Kategorie „Sätze“ in der
Linguistik bei gesprochener Sprache
nicht akzeptiert, weil wir nicht mit Punkt
und Komma sprechen. Stattdessen werte
man Äußerungen aus, so die Professorin.
Noch auffälliger wird es bei den „Audio-
prosodischen Parametern“, also den
Stimmeigenschaften. Mein Maximalwert
bei der Tonlage erscheine ihr ungewöhn-
lich hoch, das spreche für einen Messfeh-
ler. Auch die angegebene Definition von
„Harmonizität“ als „das Verhältnis vom
untersuchten Signal zu unerwünschtem
Hintergrundrauschen“ kennt die Profes-
sorin nicht. In der Phonetik beschreibe
„Harmonizität“ das Verhältnis von harmo-
nischen und unharmonischen Anteilen in
der Stimme. So haben zum Beispiel Rau-
cher mehr unharmonische Anteile.
Begrifflichkeiten unsauber verwendet
„Hier werden elementare Begrifflichkei-
ten nicht sauber verwendet“, sagt die Pho-
netik-Expertin. Verwundert ist sie auch
bei der Erklärung zu „Pertubation“. Dort
heißt es: „Dieses Zittern entsteht durch
körperliche Phänomene, die auf Anspan-
nung und/oder Unsicherheit hinweisen
können.“ – „Diese Interpretationen sind
mir aus der Phonetik nicht bekannt“,
sagt
Braun. Zudem werde Perturbation
nie bei fließender gesprochener Sprache
erhoben, sondern man lasse die Person
mehrere Sekunden einen Vokal halten
mit exakt festgelegtem Abstand zum Mi-
kro. „Um bei der Stimmanalyse zu aus-
sagekräftigen Ergebnissen zu kommen,
muss man sehr viel beachten“, erklärt
Braun. Ein Interview per Telefon sei eine
„gefährliche Signalbeschneidung“. Man
wisse nicht mehr genau, was man misst.
Das Precire-Modul zu den Stimmeigen-
schaften sei daher für sie ohne erkennba-
re Aussagekraft. Die Wissenschaftlerin:
„Ich würde mich als Bewerber nicht mit
dieser Software analysieren lassen.“
BÄRBEL SCHWERTFEGER
arbeitet als freie
Journalistin in München.
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