personalmagazin 12/2015 - page 31

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12/15 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Giernalczyk:
Deshalb muss Leadership
neu überdacht werden. Ich unterschei-
de die fusionäre und die antifusionäre
Lüge. Beide müssen nicht harmlos blei-
ben, aber ihr Ursprung ist ein anderer.
Die fusionäre Lüge wird genutzt, damit
sich beide, Lügner und Belogener, mit-
einander im Gleichklang fühlen. Wie
bei einem Hochstapler, der wie eine ver-
sorgende Mutter die Hoffnung auf voll-
kommene Wunscherfüllung verspricht,
und dem Betrogenen, der wie ein Kind
ist, das die Versprechen glauben möch-
te. Ein Beispiel: Wenn ein Dienstleister,
der bisher nur eine Website betreibt,
einen Bankenvorstand davon überzeugt,
er könne ein Online-Banking-System zu
einem superniedrigen Preis aufbauen,
dann glaubt der Banker wirklich, dass
er hier eine ideale Lösung bekommt und
vergisst die damit verbundenen Proble-
me – dabei wäre es ganz simpel, Refe-
renzen abzufragen und die Firma des
ITlers zu überprüfen.
personalmagazin:
Und das Gegenstück, die
antifusionäre Lüge – was für eine innere
Logik hat sie?
Das Interview führte
Ruth Lemmer.
PROF. DR. THOMAS GIERNALCZYK,
Diplompsychologe und Organisationsbe-
rater, erforscht und begleitet Konflikte in
Unternehmen. Als Honorarprofessor lehrt er
an der Universität der Bundeswehr.
© EKKEHARD WINKLER
aus der Perspektive der Organisation
heraus selbstreinigend. Die Lügner wer-
den als Sündenböcke aus der Organisa-
tion getrieben – und mit ihnen die Lüge.
Es werden die Personen ausgeschlos-
sen, die mit ihren Werten und Verhal-
tensdispositionen die Einladung zu Lug
und Trug aufgegriffen haben. Das kann
eine Organisation tatsächlich positiv
verändern.
personalmagazin:
Sie haben sich mit
Lebenskrisen und Suiziden beschäftigt.
Wie sind Sie von diesem klinischen
Thema zur Organisationsberatung
gekommen?
Giernalczyk:
Schon zu Beginn meiner Kar-
riere wollte ich Menschen verstehen
und ihnen helfen. Ich habe zwölf Jahre
in der Krisenambulanz gearbeitet und
dort Vieles über die Wirkung der Um-
gebung auf Persönlichkeiten gelernt.
Eine Erkenntnis war, dass man zu den
Menschen hingehen muss, auch an den
Arbeitsplatz. So wurde aus der Suizidbe-
ratung eine Krisenintervention. Und die
haben oft auch Teams in Unternehmen
dringend nötig.
personalmagazin:
Ist die Lüge immer ver-
dammenswert oder ein gutes Schmiermit-
tel, um die Zusammenarbeit in Firmen
geschmeidig zu halten?
Giernalczyk:
Ein Leben ohne Lüge gibt es
nicht. Die entscheidende Frage ist, wann
sich eine harmlose in eine destruktive
Lüge verwandelt. Menschen lügen, weil
sie davon einen Nutzen haben – für sich
oder für ihre Sache. Die Sieben-Meilen-
Stiefel des Schwindelns bringen mehr
Geld, schnelleren Gewinn, eine Idee vo-
ran und man steht persönlich besser da.
Das gilt auch für Teams, die gemeinsam
große Entscheidungen favorisieren und
das Risiko kleinreden. Auf der anderen
Seite wird Lügen vom Gewissen begrenzt.
Psychoanalytisch gesprochen sorgt das
Über-Ich im guten Falle für die Wahrheit.
personalmagazin:
Die Drohung scheint
schwächer als die Gewinnerwartung.
Giernalczyk:
Sie entsteht aus der Angst.
Jemand fühlt sich subjektiv bedroht. Das
gibt ihm nach seinem Empfinden das
Recht, sich zu wehren – und zwar mit al-
len Mitteln, denn bei Notwehr heiligt der
Zweck dieMittel. Oft spielen Intrigen eine
Rolle. Wenn sich etwa ein Einkaufsleiter
und ein Techniker streiten, weil der eine
preiswertes und der andere hochwertig-
teures Material einsetzen will, geht der
Techniker heimlich zum Vorstand. Mit
Teilwahrheiten über die Sicherheit und
Regressansprüche bringt er diesen dazu,
ihm die Entscheidungsgewalt zu geben.
Er sticht den Konkurrenten aus.
personalmagazin:
Ihre Beispiele sind reale
Coaching-Fälle. Wie kann der Coach das
Lügen oder wenigstens die destruktiven
Anteile minimieren?
Giernalczyk:
Eine vertrauensvolle Kom-
munikation macht das Lügen unin-
teressanter. Wenn Fehler zugegeben
werden können, ohne dass eine Strafe
folgt, muss weniger gelogen werden.
Außerdem: Wer davon ausgehen muss,
dass seine hinterhältigen Aktionen auf-
fliegen, weil die Kollegen und Manager
offen miteinander reden, kann die Lüge
nicht als sicheres Erfolgsinstrument
einsetzen. Vertrauen macht Lügen un-
wahrscheinlicher.
personalmagazin:
In dieser Enge muss Ver-
trauenskultur dann wohl zwangsläufig
ein Fremdwort sein.
Giernalczyk:
Vertrauen ist wie Rasen. Es
wächst langsam und ist schnell abge-
mäht. In einer autoritären Kultur – ob
in einer Gesellschaft oder in einem Un-
ternehmen – existiert Vertrauenskultur
nur als Lippenbekenntnis, wenn Fehler
hart bestraft werden. Es kann Subkul-
turen in einzelnen Bereichen geben. In
der Alternativkultur kann reflektierend
nach Versuch und Irrtum gearbeitet
werden, solange Erfolge gemeldet wer-
den. Doch faktisch ordnet sich jede Ne-
benkultur der Autorität unter.
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