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12/15 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
mit mehreren Millionen Euro von Inve-
storen gefördertes Start-up mit Psycho-
logen, IT-Experten, Mathematikern und
Sprachwissenschaftlern. Geschäftsführer
ist der Jurist Dirk Gratzel.
Zurück zum Selbsttest. Eine halbe
Stunde vor dem telefonischen Aus-
wertungsgespräch bekomme ich ein
siebenseitiges Dokument mit vielen
Grafiken, Zahlen und Fremdwörtern
wie „audio-prosodische Parameter“ oder
„deiktische Verteilung“ zugeschickt. Ich
verwende das Wort „ich“ und „man“
häufiger als es der Referenzwert an-
gibt. Führungskräfte, die häufig „man“
benutzen, tun sich schwer, Bindung zu
erzeugen, erklärt Psychologe Greb. Bei
meinem persönlichen Sprachprofil nach
dem Modell von „Schulz von Thun“ bin
ich wiederum – trotz häufigem „man“
- sehr beziehungsorientiert. Erstaun-
lich auch mein „Psycholinguistischer
Resilienz-Index“. Obwohl mir zuvor ein
im Vergleich zur Referenzgruppe deut-
lich höherer Anteil bei den Negationen
bestätigt wurde, heißt es nun, dass ich
„vermehrt positive Begrifflichkeiten
nutze“. In der Kurzzusammenfassung
bekomme ich den Entwicklungstipp:
„Reflektieren Sie im Alltag, wie häufig
Verneinungen vorkommen.“ Ja was denn
nun? Beim Profilvergleich werden meine
Sprechmerkmale mit dem Big-Five-Per-
sönlichkeitsmodell verglichen. Ich habe
eine Übereinstimmung von 71,97 Pro-
zent mit dem Referenzprofil. Im Durch-
schnitt sind es 77,84 Prozent. Das liege
an meiner stark ausgeprägten Autono-
mie, sagt Greb. Überzeugend ist das für
mich nicht. Umso erstaunlicher ist es,
dass Psyware-Geschäftsführer Gratzel in
einem Interview behauptet, die Vorher-
sagen seien zu 85 bis 90 Prozent richtig.
Experten hegen Zweifel
Jarek Krajewski, Professor am Institut
für Sicherheitstechnik, Abteilung Human
Factors und Diagnostik an der Universi-
tät Wuppertal, hält das „wissenschaftlich
für unseriös“. „Bei der Entschlüsselung
der Sprachmerkmale beißen sich die
weltweit besten Wissenschaftler noch die
Zähne aus“, erklärt der Psychologe, des-
sen Forschungsschwerpunkte die akusti-
sche Stimmanalyse und Sprachemotions-
erkennung ist. Seriös bewertet, befänden
sich die Systeme derzeit bestenfalls in
einem Prototyp-Stadium. Selbst die bes-
ten sprachbasierten Instrumente kämen
unter realistischen, replizierbaren Bedin-
gungen derzeit allenfalls auf 70 bis 80
Prozent Vorhersagegüte. Zudem sei Spra-
che sehr situationsabhängig. „Die Ergeb-
nisse hängen stark von der Sprachaufga-
be und der Sprechsituation ab“, sagt der
Psychologe. Und die Aussage, dass man
Sprache nicht willkürlich manipulieren
kann, sei zwar ein cleveres Marketingins-
trument, aber schlichtweg Unsinn.
„Um herauszufinden, ob ein Mess-
verfahren wirklich funktioniert, muss
es von unabhängigen Wissenschaftlern
überprüft werden“, erklärt Professor
Krajewski. „Solange eine seriöse und un-
abhängige Validierung fehlt, kann man
auch gleich aus der Hand lesen.“ Valide
ist ein Test erst dann, wenn nachgewiesen
ist, dass er auch das misst, was er vorgibt
zu messen. Zwar zweifle er nicht daran,
dass es signifikante Korrelationen zwi-
schen Sprachmerkmalen und diversen
Persönlichkeitsmerkmalen und psycho-
logischen Zuständen gebe, so Krajewski,
doch die seien in der Regel schwach, so-
dass eine Prognose mit Fehlern behaftet
sei. „Das gilt auch, wennman viele kleine,
jeweils einzeln schwach korrelierende
Stimmmerkmale regressionsanalytisch
zusammenfasst. Wenn es nur eine sehr
dünne theoretische Grundlage und keine
neutral überprüfte, saubere Empirie ge-
be, dann sei das aus wissenschaftlicher
Perspektive schon ziemlich dürftig. „Das
ist derzeit zu 95 Prozent Marketing und
zu fünf Prozent Substanz“, behauptet
der Wissenschaftler und rät daher, „lie-
ber die Finger davon zu lassen und einen
etablierten Persönlichkeitstest einzuset-
zen, solange die Ergebnisse nicht von
einer neutralen Drittinstanz repliziert
werden.“
Noch keine ausreichende Validierung
Doch Psyware legt auch auf mehrmalige
Nachfrage keine Validierungsstudien vor.
Es liefen gerade weitere Studien, erklärt
Greb. Eine unabhängige wissenschaftli-
che Veröffentlichung gebe es bisher nicht.
Lediglich ein Studienbericht „Validierung
des Precire-Voice-Check“ der Ludwig-
Maximilians-Universität München in
Studienkooperation mit Psyware GmbH
und Mind & Mood GmbH wird zur Verfü-
gung gestellt, in der eine auffallend hohe
Korrelation von 0,7 zwischen Precire und
Stressfragebögen angegeben wird. Das sei
für ihn „hochgradig unplausibel“, so Pro-
fessor Krajewski. So erzielten die weltweit
erfolgreichsten Gruppen in objektiven,
das heißt unter realistischen, überprüfba-
ren Bedingungen durchgeführten Sprach-
signal-Wettbewerben lediglich Validitäts-
korrelationen von 0,4 bis 0,5.
Psyware beruft sich auf die sogenann-
te interne Validität. Dabei korreliert man
die Sprachprobe mit einem etablierten
Persönlichkeitstest und schließt dann
aus den Sprechmerkmalen auf die Per-
sönlichkeit. Eine ausschließliche Vali-
dierung über die Berechnung solcher
Korrelationen hält auch Rainer Bäcker,
Leiter Managementdiagnostik bei der
IFP Personalberatung in Köln, für nicht
ausreichend. „Dies ist letztlich eine Vali-
dierung ‚zweiter Ordnung‘, bei der man
nie über die Validität des Persönlich-
keitstests kommen kann“, erklärt der
Diplom-Psychologe. Bäcker, der auch im
wissenschaftlichen Beirat von Precire
ist, will den Test daher ausschließlich
bei Verhaltensanalysen einsetzen. Das
Besondere an Precire sei, dass man
eine Vielzahl von Sprachmerkmalen
gleichzeitig erfassen könne und zwar
unvergleichlich mehr als dies durch ei-
Valide ist ein Test erst
dann, wenn von neu-
tralen Wissenschaftlern
nachgewiesen ist, dass
er auch tatsächlich das
misst, was er vorgibt zu
messen.
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