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MANAGEMENT
_UNTERNEHMENSKULTUR
personalmagazin 12/15
Giernalczyk:
Firmen erwarten einerseits
kooperatives Verhalten zur Erfüllung
der Aufgaben, fördern andererseits aber
auch die Konkurrenz, um Mitarbeiter
und Manager zu motivieren. Dieses
Paradox schafft Situationen mit einem
weiten Interpretationsspielraum. Das
Versprechen, dass der Bessere gewin-
nen wird, erzeugt eine zumindest latent
aggressive Spannung und Stress unter-
einander. All dies erhöht den Stress und
lässt so manchen die Lüge als legitime
Verteidigung erleben.
personalmagazin:
Woran erkennen Mit-
arbeiter und Manager, ob die Lüge ein
anerkannter Weg zum Erfolg ist?
Giernalczyk:
Man kann beobachten, wer
Karriere macht und wie derjenige sich
verhält. Toleranz und Förderung erfah-
ren betrügerische Mitarbeiter, wenn sie
Konkurrenten abwehren oder ein Wett-
bewerbsvorteil winkt. Solange die Unehr-
lichkeiten der Organisation Erfolge ver-
sprechen, drücken alle ein Auge zu. Doch
wenn der Lug sich zum Nachteil der Or-
ganisation wendet, wird nach Schuldigen
gesucht. Was bisher begrüßt wurde, wird
nun zum Ballast. Die gleichen Führungs-
kräfte, die für ihr Vorgehen in der Ver-
gangenheit belohnt wurden, werden nun
wegen der Regelverletzungen geschmäht
oder gar – bei kriminellen Vorgängen –
der Justiz ausgeliefert.
personalmagazin:
Das muss Betroffene
verbittern und Kollegen verunsichern.
Giernalczyk:
Ja, denn vom Standpunkt der
Gruppensolidarität aus ist dies unmora-
lisch. Allerdings bewirkt dieser Vorgang
„Vertrauen kippt Lug und Trug“
INTERVIEW.
Thomas Giernalczyk erklärt, wie es zu Lügen und Betrug kommt und wie
Führungskräfte solche Fehlentwicklungen in der Firmenkultur vermeiden können.
personalmagazin:
Lug und Trug – bei
diesen Stichworten denken Fußballfans
gerade an die Fifa, aber alle an VW. Wie
erklären Sie die moralische Komponente
des Diesel-Skandals?
Thomas Giernalczyk:
Die Zielsetzung des
VW-Konzerns war offensichtlich unrea
listisch. Der Motor sollte sauber sein,
aber einen bestimmten Kostenrahmen
nicht überschreiten. Die Ingenieure fan-
den mit ihren Einwänden offensichtlich
kein Gehör. Es wurde vermutlich nach
dem Motto „Geht nicht, gibt’s nicht“
gehandelt. Zum faktischen Betrug kom-
men Managerversagen und eine Ar-
roganz, die den Gegenspieler, die Um-
weltbehörden der USA, unterschätzte.
Sonst wäre man wohl schon beim ersten
Verdacht 2008 auf Gesprächsangebote
eingegangen und hätte sich möglicher-
weise einigen können.
personalmagazin:
Wie kann es sein, dass
Kontrollgremien derart versagen und so
ein ganzer Konzern gefährdet wird?
Giernalczyk:
VW hat eine dominante Fir-
menkultur. Die autoritäre Struktur lässt
Kontrolle und Reflexion in der Entschei-
dungsfindung keinen Raum. In autoritär
geführten Systemen wächst die Hybris,
unverletzlich zu sein. Ganz oben thronte
der Vorstandsvorsitzende Martin Win-
terkorn. Offensichtlich war die Angst
vor ihm größer als die Angst vor Kon-
sequenzen aus der Umwelt – ob sie von
Behörden oder Konkurrenten drohten.
Es tauchte hier vermutlich nicht einmal
ein Hofnarr auf, der den Herrschern die
Realität spiegelte.
personalmagazin:
Arbeiten bei VW be-
sonders viele betrügerisch veranlagte
Menschen oder sind Mitarbeiter und
Manager die Betrogenen einer kleinen
Lügen-Elite?
Giernalczyk:
Bei der Lüge gibt es eine Nor-
malverteilung. Die meisten Lügen sind
harmlos. Nur wenige Menschen nehmen
in Kauf, anderen zu schaden, wollen ih-
nen bewusst schaden oder erkennen gar
nicht, dass andere Schaden nehmen.
Am anderen Ende der Gauß‘schen Glo-
ckenkurve gibt es die wenigen, die gar
nicht lügen können. Es sind nicht die
einzelnen Menschen, sondern die auf
sich bezogene und autoritäre Firmen-
kultur, die zu solchen Fehlentwicklun-
gen führen. Dabei haben Führungskräf-
te eine wichtige Vorbildfunktion. Wenn
sie nicht ethisch handeln, dann strahlt
das auf alle anderen aus.
personalmagazin:
Welche strukturellen
Bedingungen fördern betrügerisches
Verhalten?
„Führungskräfte haben
eine Vorbildfunktion.
Wenn sie nicht ethisch
handeln, strahlt das auf
alle aus – und führt zu
Fehlentwicklungen in
der Firmenkultur.“