personalmagazin 8/2015 - page 27

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08/15 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Das Interview führte
Andrea Sattler.
PROF. DR. MARKUS BÜHNER
ist Lehr-
stuhlinhaber psychologische Methodenlehre
und Diagnostik an der LMU München.
Bühner:
Man darf das natürlich nicht mit
klinischen Werten vergleichen – aber
wir können mithilfe des Modells rund
die Hälfte der Bewerber erkennen, die
ihre Ausbildung wahrscheinlich abbre-
chen, und 80 Prozent der Leute richtig
klassifizieren, die ihre Ausbildung tat-
sächlich beenden. Das ist nicht wenig.
personalmagazin:
Liefert die Formel denn
auch Informationen über die berufs- oder
unternehmensspezifische Passung?
Vogel:
Nein, das Modell zeigt uns allge-
mein, mit welcher Wahrscheinlichkeit
jemand die Ausbildung schafft. Alle
anderen Fragen – wie Passung zum
Beruf oder Unternehmen – klären wir
nach wie vor im Interview. Was unser
kompensatorisches Modell allerdings
daneben noch leisten kann, ist es, dem
Ausbilder gleich zu Anfang zu zeigen,
wo ein Azubi Schwächen hat, die er dann
im Laufe der Ausbildung noch beheben
kann, zum Beispiel Defizite in Mathe.
Und: Wir können prüfen, ob ein Kandi-
dat, der prinzipiell passt, aber nicht für
den Ausbildungsberuf, auf den er sich
beworben hat, für einen anderen Beruf
infrage kommt. So gelingt es uns, mehr
Kandidaten aus einem immer kleiner
werdenden Bewerberpool zu ziehen.
personalmagazin:
Wie hat es sich denn auf
Ihre Herangehensweise ausgewirkt, dass
Sie inzwischen weniger Bewerber haben?
Vogel:
Nach den ersten Validierungen
des Persönlichkeitstests haben wir ihn
2011 erstmals für die Auswahl einge-
setzt. Damals wurde er eher zur Risiko-
minimierung eingesetzt, um die Prog­
nose der Ausbildungsbeurteilungen zu
verbessern. Dadurch haben wir aber
viele Bewerber nicht berücksichtigt, die
potenziell die Ausbildung hätten schaf-
fen können. Das kann man sich aber nur
leisten, wenn man genügend Bewerber
hat – was damals noch so war. Mittler-
weile haben wir aufgrund des demo-
grafischen Wandels allerdings weniger
Bewerber. Wir wären mit dem früheren
System nicht weitergekommen.
personalmagazin:
Welche Strategien verfol-
gen Sie beim Versuch, mehr Azubis aus
einem kleineren Bewerberpool zu ziehen?
Vogel:
Mit dem kompensatorischen Mo-
dell wird die Eignungsdiagnostik per-
sönlichkeitsorientierter. Das bedeutet,
dass künftig zusätzliche Potenzialkandi-
daten mit Schwächen im Fähigkeitsbe-
reich identifiziert werden, die aufgrund
ihrer Persönlichkeitseigenschaften er-
folgreich eine Ausbildung absolvieren
können. Dadurch erhöht sich die Zahl
potenzieller Kandidaten im Vergleich
zum bisherigen Verfahren.
Bühner:
Wir sind gerade dabei, das kom-
pensatorische Modell zu erproben. Zum
ersten Mal haben wir es in der Einstel-
lungsrunde im September 2014 für die
Einstellung September 2015 eingesetzt.
Inwieweit es sich bewährt, wird sich zei-
gen: Um valide Aussagen treffen zu kön-
nen, brauchen wir wiederum eine große
Stichprobe aus drei Ausbildungsjahren.
personalmagazin:
Herr Vogel, einige der
Bewerber aus der ersten Runde 2014 ha-
ben Sie ja schon eingestellt. Was hat sich
beim Auswahlverfahren geändert?
Vogel:
Wir haben mit dem neuen Aus-
wahlmodell erste positive Erfahrungen
bei der Auswahl von Pharmakanten und
Chemikanten gesammelt und dabei nun
auch Bewerber berücksichtigt, deren
Werte aus dem kognitiven Test unter
dem Durchschnitt lagen – aber die pas-
senden Persönlichkeitseigenschaften
zur Kompensation und somit zur Pas-
sung führten. Auf diese Weise haben
wir schon einige Leute eingestellt, die
wir früher abgelehnt hätten.
personalmagazin:
Akzeptieren denn die
Azubis dieses Auswahlverfahren?
Vogel:
Es gab zwar anfangs Bedenken im
Unternehmen, gerade bei den Betriebs-
räten. Aber wir haben die Erfahrung
gemacht, dass die Bewerber die Tests
gut akzeptieren. Wir hatten noch keinen
Bewerber, der deswegen nicht zum Test-
termin gekommen wäre. Die Reaktionen
zeigen eher das Gegenteil: Die meisten
finden es interessant, einmal über sich
nachzudenken. Wir versuchen aber,
den Test kurz zu halten, aktuell bei 35
Minuten. Als wir den Persönlichkeits-
test eingeführt haben, haben wir dafür
einen Drahtbiegetest herausgenommen,
der das handwerkliche Geschick testen
sollte. Die Validierungsstudien hatten
gezeigt, dass er nicht aussagekräftig ist.
personalmagazin:
Planen Sie, das Verfah-
ren auf andere Positionen auszuweiten?
Vogel:
Das gestaltet sich schwieriger. Jun-
ge Leute sind solchen Tests gegenüber
offener, sie wollen mehr über sich er-
fahren. Erfahrene Fach- und Führungs-
kräfte haben meist schon oft über sich
nachgedacht und daher eher Vorbehal-
te gegenüber Persönlichkeitstests. Wir
nutzen bei ihnen andere Instrumente.
personalmagazin:
Herr Professor Bühner,
wie bewerten Sie das?
Bühner:
Ich würde mir wünschen, dass
Unternehmen nicht nur bei Azubi-, son-
dern auch bei anderen Positionen mehr
eignungsdiagnostische Tests einsetzen.
Bei Führungskräften gehen etwa viele
davon aus, dass auf diesem Level Intelli-
genz und Persönlichkeit nicht mehr dif-
ferenzieren würden. Das ist aus meiner
Sicht ein Irrglaube.
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