Wirtschaft und Weiterbildung 5/2019 - page 45

R
wirtschaft + weiterbildung
05_2019
45
einen Vision-Mission-Purpose-Strategie-
Workshop, der die Eitelkeit der betroffe-
nen Vorstände nur weiter bedient).
Viele Change-Projekte, die Gefühle be-
rücksichtigen, arbeiten mit sogenannten
positiven Gefühlen: dem Wecken von Be-
geisterung, Wertschätzung, Leidenschaft
und dem Glauben ans Gelingen. Daran
ist nichts Schlechtes. Allerdings werden
in den wenigsten Fällen unangenehme
Gefühle wie Angst, Schuld, Scham durch
angenehme Gefühle getilgt oder auch
nur unwirksam gemacht. Wenn auch die
Berater diese Emotionen übergehen und
übersehen, bleiben die Kunden weiter mit
den Ängsten, Schuld- und Schamgefüh-
len allein. Sie werden sich weiter sorgen,
dass die anderen merken könnten, wie es
wirklich in ihnen aussieht, werden weiter
andere(s) abwerten, um nicht selbst in
die Schusslinie zu kommen, werden sich
weiter auf Kosten anderer optimieren, um
ihrer eigenen Not zu entkommen. Berater
brauchen demnach eine hohe Kontaktfä-
higkeit zu Menschen, die in emotionale
Zustände kommen, die ihnen unvertraut
sind und mit denen sie nicht ausgesöhnt
sind.
Wer als Berater tabuisierte und vermie-
dene Gefühle bei Kunden anspricht und
dafür Kontakt, Empathie und Unterstüt-
zung anbietet, kommt so gut wie immer
an die Faktoren, die beim Kunden dafür
sorgen, dass Veränderungen nicht klap-
pen, zu langsam sind, Konflikte sich nicht
günstig bearbeiten lassen, Energie und
Sinn fehlen oder Neuerungen nicht inte-
griert werden. Tabuisierte, abgespaltene,
verleugnete Emotionen sind Garanten für
Stagnation und unfruchtbare Dauerkon-
flikte. Allerdings kann man sich auf Tabus
nur beziehen, wenn man als Berater nicht
auf die (sofortige) Wertschätzung und
Bestätigung vom Kunden angewiesen ist.
Die eigene emotionale Unabhängigkeit ist
hier von höchster Wichtigkeit. In Organi-
sationen, in denen das Rationalitätspara-
digma offiziell herrscht und damit immer
die angeblich unwichtigen und aus der
Kommunikation ausgeblendeten Gefühle
dominieren, braucht es also eine Bera-
tung,
• die mit der Aktivierung von Emotionen
zurechtkommt,
• die nicht nur auf „gute“ Gefühle fokus-
siert,
• die mit dem Kunden ausreichend Si-
cherheit erarbeitet, um sich mit bislang
abgewehrten Gefühlen zu beschäftigen
und
• die dem Kunden die Zuversicht vermit-
telt, dass sich all das lohnt.
8 Interne Beratung oder:
„Man sieht sich wieder!“
Wenn man darüber nachdenkt, wie Be-
ratung funktioniert, stößt man unweiger-
lich auf die Frage, ob und wie die soge-
nannte „interne Beratung“ funktionieren
kann. Mit interner Beratung sind hier die
Consulting- oder HR-Abteilungen großer
Konzerne gemeint, aber auch einzelne
HR-Mitarbeiter mit Beratungs- und Coa-
ching-Kompetenz (und -aufgaben) und
angestellte Supervisoren bei sozialen oder
pädagogischen Institutionen. Es geht also
um die Situation, dass Berater und zu
Beratende Subsysteme eines gemeinsa-
men Systems sind. Das schafft mehrere
Besonderheiten (von denen manche in
veränderter Form auch auf externe Bera-
ter zutreffen, wenn diese über lange Zeit
mit demselben Stammkunden verbandelt
sind). Diese Besonderheiten sind:
• Man kennt sich schon, bevor die Bera-
tung beginnt. Es gibt eine Geschichte.
Die internen Berater haben bei ihren
internen Kunden einen Ruf, der viel
umfassender ist als der von Externen.
Man hat schon mal zusammengear-
beitet oder man kennt welche, die das
schon getan haben. Man sieht sich
in der Kantine, man hat gemeinsame
Bekannte. Das macht – explizite oder
latente – Wertungen wahrscheinlicher
und das fördert Zusatzmotive wie tak-
tische Auswahl, Vorsicht, Loyalitätser-
wartungen.
• Das Ganze gilt natürlich auch spiegel-
bildlich. Auch die interne Beratung
kennt oft den Coachee, kennt das
Team, kennt den Bereich. Das lässt sich
nutzen, macht aber den Aufbau der Be-
ratungsbeziehung nicht eben leichter.
• Die Probleme des internen Kunden
sind nicht gerade selten auch Probleme
der internen Beratung. Klar, man ist
ja in der gleichen Firma, ist „nur“ in
unterschiedlichen Subsystemen. Man
kann also sagen, dass interne Beratung
immer auch ein Stück sich selbst sieht,
wenn sie auf den Kunden schaut. Man
teilt in manchen Hinsichten die glei-
chen Selbstverständlichkeiten und hat
die gleichen blinden Flecken. In diesen
Hinsichten wird es dann schwer zu be-
raten, da man den gleichen Bezugsrah-
men teilt.
• Schlussendlich hat interne Beratung oft
auch Informationen darüber, wie an-
dere Bereiche, Teams und Personen den
Kunden sehen und wo es „schwierig“
oder „einfach“ mit ihm ist. Das erleich-
tert es, die blinden Flecken des Kunden
zu finden. Man sieht leichter, was das
Klientensystem in seinem Sehen nicht
sieht.
Daraus ergeben sich folgende Gefähr-
dungspotenziale für interne Berater:
• Wie sehr ist man sich sicher, dass man
nicht ungünstig vermeintliche Selbst-
verständlichkeiten der Organisation
mit dem Kunden teilt? Schon um hier
Interne Beratung.
Der firmeninterne Berater kennt die blinden Flecken einer
Organisation besser als ein externer Berater.
1...,35,36,37,38,39,40,41,42,43,44 46,47,48,49,50,51,52,53,54,55,...68
Powered by FlippingBook