Wirtschaft und Weiterbildung 5/2019 - page 43

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wirtschaft + weiterbildung
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stand weder hergestellt worden sein,
noch würde er aufrechterhalten werden.
Ein anderer „Teil“ (= BK) des Kunden
ist mit der Ausgangslage A unzufrieden,
möchte Veränderung und will gern zum
Ziel „B“ kommen! Beide Teile AK und BK
kommen also zum Berater.
Üblicherweise beginnt nun der Teil „BK“
des Kunden zu sprechen und zu formu-
lieren, was er sich von der Beratung er-
hofft: Der Coachee formuliert seine Ziele,
die Teamleiterin die Richtung, in die das
Team sich hinbewegen soll, der Vorstand
das, was er mit der Organisation anstrebt.
Fragt nun der Berater nach dem Status
quo, bekommt er meistens Klagen über
die Ausgangslage vorgesetzt und hört
somit (Selbst-)Vorwürfe gegen den Teil
„AK“ des Kunden:
Kontext Coaching:
„Ich möchte mich
verändern, weil ich einfach zu undis-
zipliniert bin und meine Arbeit nicht
schaffe!“ Der Berater fragt sich: Welche
Instanz (= Ich) im Klienten möchte
hier welche andere Instanz (= Mich)
verändern? Welches „Ich“ schafft die
Arbeit nicht und welches „Ich“ leidet
darunter? Welche Instanz ist in wel-
chen Augen undiszipliniert und welche
Instanz beobachtet dies kritisch? Was
hat dies für Folgen?
Kontext Team:
„Wir begreifen nicht,
dass wir unsere Arbeitsweise ändern
müssen, damit wir den Anforderungen
der Organisation Genüge leisten kön-
nen. Wir stimmen uns zu wenig ab
und wir helfen uns untereinander zu
wenig!“ Der Berater fragt sich: Welches
„Wir“ ist jeweils gemeint und welches
„Wir“ wird angeklagt? Welches „Uns“
hilft sich nicht und was hat es denn
davon?
Kontext Organisation:
„Die Bereiche
sind wie Silos, die einander in ihren
Entscheidungen kaum im Auge haben
und sich jeweils selbst optimieren. Die
Organisation ist so zu langsam, zu un-
flexibel und in Gremien zerstritten.“
Der Berater fragt sich: Wer optimiert
sich in wessen Einschätzung aufgrund
welcher Kriterien mit welchen Gründen
auf welches Ziel hin? Für welche Sub­
systeme ist das ein Problem oder auch
nicht?
Es ist offensichtlich, dass beide „Teile“
des Kunden „AK“ und „BK“ im Spiel
sind. „BK“ leidet und sucht die Hilfe des
Beraters, „AK“ schweigt und fühlt sich
unbehaglich, da er fürchtet, dass es ihm
in der Beratung ans Leder gehen soll.
Er ist als Problem ausgemacht und soll
sich zugunsten der Lösung (von BK) vom
Acker machen. An dieser Stelle kommt
nun der Berater und seine Vorstellung
von Veränderung ins Spiel.
Es gibt Beratungstheorien, die diese
Aufteilung des Kunden gewissermaßen
übernehmen. Dann ist die Sache klar: Es
geht darum, sich mit „BK“ anzufreunden,
die Fehler und Schwächen von „AK“ zu
analysieren, „BK“ zu helfen, den Wider-
stand von „AK“ zu überwinden und zum
Verschwinden zu bringen und in Summe
möglichst schnell beim Zielzustand von
„BK“ zu landen. „BK“ und Berater kämp-
fen dann gemeinsam gegen „AK“. Ich
halte dies für ineffizient und langfristig
für wenig effektiv. Günstiger scheint es
mir, eine Beratungstheorie zu verwen-
den, die in beiden „Teilen“ des Kunden
den Auftraggeber des Beraters erblickt.
Schaut man so auf den Kunden, dann ist
jeder Kunde, der an sich etwas ändern
möchte, in Konflikt mit sich selbst. Jede
Beratung ist dann eine Beratung innerer
Konflikte des Kunden(systems) zwischen
Veränderungs- und Bewahrungsaktivitä-
ten. Daraus folgt unmittelbar, dass der
Berater in diesem Konflikt eine neutrale,
allparteiliche Haltung einnehmen muss.
Er muss sich als Anwalt beider Interes-
senlagen verstehen, er braucht das Man-
dat von „AK“ und von „BK“! Das hat nun
in unterschiedlichen Beratungssettings
spezielle Konsequenzen:
• Im Coaching bedeutet es, dass man
zunächst mal den meist unbewussten
Prozess, der zum Status quo führt, he-
rausarbeiten muss. Wenn die psychi-
schen Selbstrepräsentanzen, die die-
sen Prozess gestalten, sich vom Coach
bedroht oder als Problem abgewertet
fühlen, kommen sie erst gar nicht zum
Vorschein. Diese seelischen Prozesse
sind meist fragil und leiden ja schon
unter der Abwertung des Klienten
selbst. Am besten bringt der Satz „Was
ist, darf sein!“ die notwendige Haltung
des Coachs zum Ausdruck. Das acht-
same, akzeptierende und geduldige
Erforschen des Impliziten ist unab-
dingbar, um der heimlichen Logik von
selbstschädigendem Verhalten näher-
zukommen und die Leidbewältigungs-
funktion dahinter zu entschlüsseln.
• Im Teamkontext bedeutet es zum
einen, dass die Beziehungsmuster,
welche einen dysfunktionalen Effekt
haben, ebenfalls aus der Perspektive
angeschaut werden müssen, dass sie
einem Zweck dienen. Auch viele sys-
temisch orientierte Berater werden
schnell zum verlängerten Arm des
beauftragenden Teamleiters. Wie viele
Teamentwickler kenne ich, die kon-
sequent darauf bestehen, vor einem
Foto: koldunova_anna / AdobeStock
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