Wirtschaft und Weiterbildung 5/2019 - page 47

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wirtschaft + weiterbildung
05_2019
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Änderung der Lichtgeschwindigkeit? Um
nun von einem (ungünstigen) Zustand in
einen anderen (besseren) zu kommen,
muss man sich vom Bestehenden lösen.
Wer aber das Bestehende nicht kennt und
nicht beschreiben kann, wozu es dienlich
ist, wird sich davon nicht lösen können.
Ohne eine Kenntnis – also eine Beschrei-
bung – der Entscheidungsmuster, die zu
der Ordnung führen, die im Moment be-
nutzt wird, kann ein System sich nicht
(explizit) verändern. Diese Folgen haben
mangelnde Reflexion der eigenen Muster
und gewählten Schemata für die psychi-
schen und sozialen Systeme:
• Personen werden versuchen, sich zu
stabilisieren, indem sie erstens alle Ir-
ritationen, mit denen sie nicht gut zu-
rechtkommen, zu meiden versuchen.
Zweitens werden sie das, was ihnen
gut gelingt, versuchen zu verbessern,
und drittens werden sie das, was ihnen
aus der bestehenden Perspektive er-
strebenswert erscheint, zu erreichen
suchen. Beratung, Coaching oder Psy-
chotherapie werden daher meist aufge-
sucht, um dies zu bewerkstelligen oder
es wiederherzustellen, wenn es nicht
mehr funktioniert.
• Teams werden erstens versuchen, be-
stehende Arbeitsweisen, Rollenvertei-
lungen und Einflusssphären zu ver-
teidigen, zweitens Anregungen von
außen eher als Kritik zurückzuweisen
und drittens Mitglieder, die nicht zur
bestehenden Ordnung passen, einzu­
norden oder auszugrenzen. Sie werden
Teamentwickler mehrheitlich nur des-
halb buchen, um einen „besseren Spi-
rit“ zu erreichen, um bestehende Kon-
flikte innerhalb ihres Ordnungssche-
mas zu beheben oder um besser gegen
andere Gruppen bestehen zu können.
• Organisationen werden sich vornehm-
lich mit Optimieren und Effizienz­
steigern beschäftigen, um so gegen die
unausweichlichen Schattenseiten ihrer
gegenwärtig benutzten und gesetzten
Ordnung zu kämpfen. Sie werden Maß-
nahmen (Hierarchie, Regeln, Werte, Vi-
sion, Strategie) kultivieren, um die Kri-
tisierbarkeit ihrer gesetzten Ordnung in
Grenzen halten zu können.
Wenn nun Berater eine Beschreibung der
stabilitätsschaffenden Muster des Klien-
ten anbieten und diese Muster auf ihre
Funktionalität hin hinterfragen, löst dies
so gut wie immer eine kleine oder grö-
ßere Krise aus. Die vom Klienten gesetzte
Sicherheit – systemtheoretisch spricht
man von „Eigenwerten“ – wird zuguns-
ten von Unsicherheit aufgelöst. Das sollte
Beratung immer im Blick haben. Wenn
dem Kunden keine Ressourcen für Krisen
zur Verfügung stehen, sollte man ihm
von einer Änderung seiner Muster eher
abraten und ihm helfen die Ressourcen
aufzubauen. Das Richtige zum falschen
Zeitpunkt mutiert zum Falschen. Bera-
tung, die nicht Symptome kuriert oder die
Stabilisierung optimiert, kombiniert eine
Theorie der Unsicherheit mit einer Pra-
xis der Verunsicherung. Sie ist auf diese
Weise im Kern immer imaginativ, bringt
neue, andere Möglichkeiten ins Spiel!
Unsicherheitskompetenz wird somit
ein Kernmerkmal professioneller Verän-
derungsberatung. Dazu braucht es ein
gehöriges Maß an Unerschütterlichkeit
auf Seiten des Beraters. Man muss Halt,
Orientierung, Vertrauen anbieten können
und sehen, wo sie nötig sind, sonst fehlt
der Beratung die Basis für die notwendige
Labilisierung als Übergang in eine neue
Ordnung.
Diese Überlegungen werfen – um es ex-
plizit zu sagen – einen kritischen Schat-
ten auf alle Beratungskonzepte, die einen
„Straight way to paradise“ versprechen.
Ohne Krise direkt in die Lösung ist aus
system- und metatheoretischer Sicht
bestenfalls eine Optimierung, aber kein
Prozessmusterwechsel. Zufriedene Kun-
den sind damit auch nicht zwangsläufig
ein Kennzeichen gelungener oder gelin-
gender Beratung – im Coaching nicht, in
Teamberatungen nicht und in Organisati-
onsberatungen auch nicht. Kunden haben
selbst meist ein gutes Gespür, wann und
ob eine Krise während der Beratung
produktiv ist oder wann und ob sie ein
Zeichen schlechter Beratung ist. Es kann
beides sein. Beratung muss also verunsi-
chern und braucht die Kompetenz, den
Prozess von einer Stabilität zur anderen
zu gestalten. Das kann man lernen und
es bleibt ein Leben lang spannend und
lebendig.
10 Die Lust am Entscheiden
und die Leichtigkeit der
Wahl
Die (Berater-)Welt ist voller Ideale, vol-
ler „Propheten des Richtigen“, voller
Konzepte, die man nur anwenden muss,
wenn es gut laufen soll. Theoretisch ist
davon wenig haltbar und in der Praxis of-
fensichtlich auch. Warum lösen sich sonst
all diese Moden so schnell wieder auf?
Woran kann man nun Beratungserfolg
festmachen, wenn man sich von proble-
matischen Vorstellungen wie seelischer
Gesundheit, High-Performance-Teams-
Faktoren oder Best-Practice-Konzepten
für Organisationen distanziert oder sie
ganz aufgibt? Wenn es das (eine) rich-
tige, glückende Leben, wenn es die (eine)
richtige Form der Zusammenarbeit, wenn
es die (eine) richtige Form, ein Unterneh-
men zu organisieren, nicht gibt, weil all
diese Fragen ohne Kontext (was, wer, wo,
wie, wann, warum) nicht zu beantwor-
ten sind – was bleibt dann an allgemeiner
Orientierung für die Beratung von Men-
schen, Teams und Organisationen, die
sich verändern wollen oder müssen?
Es ist sehr viel leichter, genau zu erken-
nen, dass etwas gegenwärtig dysfunkti-
onal ist, als zu wissen, ob etwas zukünf-
tig funktional sein könnte. Wer Kunden
produktiv im alten Muster verunsichern
kann, steht nur auf einem von zwei not-
wendigen Kompetenz-„Beinen“. Beratung
braucht darüber hinaus Kompetenzen,
um mit den Kunden anschließend genü-
gend Sicherheit im Umgang mit Unsicher-
heit zu erarbeiten. Ohne neue Stabilität
Klaus
Eidenschink
ist Organisati-
onsberater und
Senior Coach im
Deutschen Bundesverband Coaching
e. V. (DBVC). Er ist Leiter von „Hephais-
tos, Coaching-Zentrum München“ und
arbeitet an einer umfassenden Verän-
derungstheorie von psychischen und
sozialen Systemen.
Eidenschink & Partner
Lärchenstr. 24, D-82152 Krailling
Tel. +49 89 85662246
AUTOR
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