wirtschaft und weiterbildung 7-8/2019 - page 32

personal- und organisationsentwicklung
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wirtschaft + weiterbildung
07/08_2019
wie sein Verhalten und das Verhalten an-
derer auf eine Gruppe wirkt. Erhellend ist
es auch, wenn jeder ganz bewusst neues
Verhalten ausprobiert und die Reaktio-
nen der anderen beobachtet. Die Aufgabe
einer Gruppe ist es quasi, sich beim Zu-
sammenraufen selbst zu erforschen. Die
Gruppe ist dabei darauf angewiesen, den
Lernprozess selbst zu gestalten, was in
der Regel als sehr verunsichernd erlebt
wird.
Die Berliner Fachtagung „New Work und
Gruppendynamik – zwischen Fremdheit
und Komplementarität“ ging davon aus,
dass die Phänomene, die in den Unter-
nehmen beim Abbau von Hierarchie
auftreten, große Ähnlichkeiten haben
mit jenen Phänomenen, die in einem
klassischen Gruppendynamiktraining zu
beobachten sind, wenn sich Gruppen
„zusammenraufen“. Die Denkanstöße,
die Gruppendynamiker und Systemiker
der New-Work-Bewegung gerne mit auf
den Weg geben würden, lassen sich stark
verkürzt so zusammenfassen:
1 Eine Hierarchie ist weder
gut noch schlecht
Professor Ewald E. Krainz, Gruppen­
dynamikexperte an der Alpen-Adria Uni-
versität Klagenfurt, kritisiert das gestörte
Verhältnis der New-Work-Bewegung zum
Phänomen „Hierarchie“. Es sei durch-
aus sinnvoll, eine Organisation über
eine Hierarchie – also mit Anordnungen
– zu führen, weil bei steigender Anzahl
der Beteiligten (über eine Gruppengröße
von rund zehn Personen hinaus) und
bei knapper Zeit eine Konsensbildung in
Form von Verhandlungen nicht möglich
sei. Der Professor wies auch darauf hin,
dass eine Hierarchie grundsätzlich weder
gut noch schlecht sei. „Eine Hierarchie
ist weder das Problem noch die Lösung.“
Hierarchie bedeute nicht, dass der Rang-
niedrigere dumm sei, sondern vielmehr
bedeute Hierachie, dass klar sei, wer die
notwendigen Entscheidungen treffen
dürfe, um eine Organisation am Laufen
zu halten.
2 Misstrauen gegen
normative Vorgaben
Torsten Groth, Trainer und Berater bei
Simon, Weber & Friends, legte in seinem
Einstiegsvortrag den Finger in dieselbe
Wunde wie Professor Krainz: Die meis-
ten New-Work-Ansätze seien „normativ“,
weil sie von vornherein bestimmten, was
„richtig“ sei (zum Beispiel: Selbstorgani-
sation) und was falsch sei (zum Beispiel:
Hierarchie). Und das sei nun einmal be-
sonders absurd. Zuerst werde betont, wie
komplex die Welt sei, um dann „Selbst-
organisation“ oder „Agilität“ als eine ein-
deutige Lösung aus dem Hut zu zaubern.
Sinnvoller sei es, über die „eigentlich re-
levanten Fragen“ zu sprechen: Wie ent-
steht eigentlich Ordnung? Wie gelingt es,
Entscheidungen zu treffen, die eine funk-
tionsfähige Organisation braucht?
3 Diskussionen immer nur
auf „Augenhöhe“?
Groth gab auch Folgendes zu bedenken:
Wenn jedes Argument immer gleich viel
wert sei (weil auf „Augenhöhe“ diskutiert
Der New-Work-Ansatz fordert dazu auf,
die Hierarchien abzubauen und durch
autonome Teams zu ersetzen, damit end-
lich diejenigen entscheiden können, die
am meisten Ahnung haben und nicht die,
die (zufällig) in der Befehlskette eines
Unternehmens weiter oben stehen. Ohne
Hierarchie ginge es motivierter und pro-
duktiver zu. Doch die Erkenntnisse, die
die Gruppendynamik gesammelt hat,
sprechen eine andere Sprache: Wenn es
keinen Chef gibt, bilden sich informelle
Hierarchien heraus! Außerdem zeigt
es sich laut Gruppendynamik in „herr-
schaftsfreien“ Gruppendiskussionen
immer wieder, dass sich die Menschen
selten nach demjenigen richten, der sich
bei einer Sache am besten auskennt, son-
dern oft nach dem, der – überspitzt ge-
sagt – sich und seine Meinung am besten
verkaufen kann.
Die Gruppendynamik ist eine Disziplin,
die die soziale Interaktion erforscht, die
dann stattfindet, wenn fremde Menschen
sich zu einer Gruppe und dann zu einem
leistungsfähigen Team entwickeln. Dabei
wird in der Regel klar, dass die Fähigkeit
einer Gruppe mehr ist als die Summe der
Fähigkeiten der einzelnen Personen dieser
Gruppe. Zu den Erfindern der Gruppen-
dynamik wird unter anderem der Psycho-
loge Kurt Lewin (1890 - 1947) gerechnet,
der den Begriff erstmals 1939 in seinen
Veröffentlichungen benutzte. Laut Lewin
entwickelt sich eine Gruppe in Richtung
„arbeitsfähiges Team“ in Phasen, die er
„Storming“, „Norming“ und „Perfor-
ming“ nannte. Ein gruppendynamisches
Training bietet einem Einzelnen die Ge-
legenheit, experimentell herauszufinden,
Was New Work von der
Gruppendynamik lernen kann
NEW-WORK-ANSATZ.
Rund 50 Trainer und Berater trafen sich zu einer Fachtagung mit
dem Titel „New Work und Gruppendynamik – zwischen Fremdheit und Komplementarität“,
die von der systemischen Beratergruppe Simon, Weber & Friends im April in Berlin
veranstaltet wurde. Es ging um die Frage, warum die New-Work-Bewegung die
Erkenntnisse der Gruppendynamik weitgehend ignoriert.
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