wirtschaft + weiterbildung
07/08_2019
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einfach immer noch ein Element dazuge-
nommen – genau so, wie es Brian Robert-
son nicht empfiehlt.“
Was anfangs bei P&O misslang, ging bei
Europace also gut: Holakratie nicht strikt
nach allen Regeln der Kunst zu prakti-
zieren. Hypoport hat mit beiden Wegen
– der Einführung „by the book“ und der
„Adaptionsmethode“ – Erfahrungen ge-
sammelt. Nun kann das Unternehmen
vergleichen. „Das Anpassungsmodell
birgt die Gefahr, dass man Strukturen
einfach wegdiskutiert und sich nicht viel
ändert“, erklärt Björn Schneider. „Führt
man Holakratie verfassungskonform ein,
verliert man jedoch leicht die Menschen
und braucht eine intensivere Begleitung
durch Coachs.“
Methoden konvergieren
Ursprünglich wollte die Personalabtei-
lung eine Methode für das gesamte Un-
ternehmensnetzwerk vorgeben. „Aber
dann haben wir es so gemacht wie oft
bei Hypoport: von allem ein bisschen.“
Jeder Bereich entscheidet selbst, was am
besten passt – sogar die Wahl von Sozio-
kratie, einer Art Vorläufer von Holakratie,
kam schon zum Einsatz. Nach zwei Jah-
ren fangen nun die Methoden an zu kon-
vergieren. „Von der strengen Umsetzung
kommend haben es die Kollegen leichter,
weil sie die Regeln lockern können. An-
dersherum muss es eher geregelter wer-
den,“ so der Coach, der deswegen den
verfassungstreuen Ansatz favorisiert.
So oder so – Holakratie breitet sich in der
Hypoport-Gruppe immer weiter aus. Seit
gut einem Jahr läuft die Einführung auf
der Holding-Ebene, der Hypoport-Vor-
stand arbeitet inzwischen holakratisch
und derzeit stellen die Unterstützungs-
funktionen für die Tochterunternehmen
auf das neue Organisationssystem um.
Vorstand Stephan Gawarecki ist dabei
einer der Wegbereiter. Er versucht, die
Kollegen von der Arbeitsweise zu be-
geistern. „Wir zwingen niemanden, aber
zeigen auch, Holakratie scheint Erfolg
versprechend zu sein“, so Gawarecki.
Künftig brauchen Hypoport-Manager gute
Argumente, um darauf zu verzichten. Es
entsteht ein Sog in Richtung Holakratie.
Gleichzeitig tauchen mit fortschreiten-
dem Einsatz von Holakratie neue Hürden
auf, allein schon durch die Anzahl der
Menschen, die holakratisch arbeiten. Es
gilt, mehr Mitarbeiter zu schulen und zu
begleiten. „Bei der Einführung verlang-
samen sich die Prozesse oft erst einmal,
bis die Mitarbeiter die Abläufe lernen
und verinnerlichen“, verrät der Vorstand.
Die Kreise kreisten gerne um sich selbst
– und müssten notfalls auch eingefangen
werden. „Wir tun das gerade aus einer
wirtschaftlichen Position der Stärke. Die
Einführung von Holakratie kostet viel Zeit
und Geld“, bekräftigt Stephan Gawarecki.
Noch immer existiert das alte Organi-
gramm. „Wir bilden Wertschöpfungs-
ketten, mit denen wir optimal zusam-
menarbeiten. Die bisherige funktionale
Unterteilung löst sich dabei auf. Da gibt
es nicht mehr Marketing, Vertrieb und
Produktion.“
Wenn fachliche Führung zunehmend in
Kreise wandert, könnte „disziplinarische
Führung“ in Reinform übrig bleiben.
„Theoretisch könnten Mitarbeiter dann
wählen, von welcher Führungskraft sie
geführt werden wollen.“ Und was bedeu-
tet das für die Geschäftsführung: Wird
sie die juristische Vertretung ohne diszi-
plinarische Führung übernehmen? Wer-
den dann womöglich Personen für Dinge
haften, die sie qua Rolle gar nicht mehr
ausfüllen? „Immer da, wo es Kontakt
zur Außenwelt gibt, können Probleme
auftreten“, so Gawarecki. Zumindest sei
der Erklärungsbedarf groß, etwa wenn
ein Geschäftspartner wissen wolle, wer
sein Ansprechpartner sei oder wenn sich
Menschen bei Hypoport auf eine Stelle
bewerben.
„Am schwierigsten ist das Thema Ge-
halt“, meint Björn Schneider. Brian Ro-
bertson schlägt dafür ein System von
Badges vor: Mehrere Teammitglieder
vergeben eine Art Abzeichen für gute
Leistungen, das mit einem bestimmten
Geldbetrag vergütet wird. Diese Lösung
ist allerdings nicht standardmäßig Teil der
Holakratie-Verfassung und Björn Schnei-
der hält sie für unausgereift: Der Ansatz
könne politisch benutzt werden, für Mau-
scheleien unter Kollegen. In P&O suchte
er deshalb nach einem anderen Ansatz:
„Ich habe meinen drei Kollegen gesagt,
jetzt bin ich mal für diese Unterhaltung
nicht mehr Euer Chef und wir machen
jetzt unsere Gehälter transparent unter
einander. Dann diskutierten wir ganz
viele Methoden der Gehaltsfindung. Das
hat Wochen gedauert, Tränen und ge-
schmissene Türen verursacht.“ Wie es
damit weitergeht: noch offen. Auch die
Struktur von „People & Organisation“ ist
im Fluss. „Wir haben noch keinen Ideal-
zustand von Selbstorganisation erreicht“,
betont Schneider.
Fazit: Inzwischen hat sich herumge-
sprochen, dass Hypoport an seinen Füh-
rungsstrukturen schraubt – auch unter
Aktionären. Erst bei der letzten Haupt-
versammlung fragte ein Anteilseigner
nach, ob der Konzern jetzt führungslos
sei. „Wir haben in keinem Unternehmen
Holakratie so weit eingeführt, dass die
normale Aufbauorganisation wegfällt –
die Strukturen gewährleisten, dass kein
Entscheidungsvakuum entsteht“, kontert
Stephan Gawarecki, der selbst Aktionär
des Unternehmens ist. Gerade steht der
Finanzdienstleister wirtschaftlich gut da
– die kürzlich veröffentlichte Jahresbilanz
2018 könnte durchaus Begehrlichkeiten
wecken. Für die Shareholder sei eine
nachhaltige Entwicklung des Unterneh-
mens jedoch attraktiver als kurzfristiges
Quartalsdenken, findet Gawarecki: „Ho-
lakratie ist eine Investition in die Zukunft.
Damit können wir uns dynamischer ent-
wickeln.“ Wachstum im digitalen Markt
von morgen, das ist das große Verspre-
chen von Holakratie.
Stefanie Hornung
Kristin Lutz.
Sie ist eine von inzwischen
neun Holakratie-Coachs bei Hypoport. Es
geht darum, Spannungen abzubauen und
die Kommunikation zu verbessern.