wirtschaft und weiterbildung 7-8/2019 - page 42

training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
07/08_2019
Der Professor Schermuly schafft Vorlesungen ab
Seit dem Ende des Wintersemesters 2018/2019 hält
Schermuly für seine „Erstis“ keine Vorlesungen mehr ab.
Stattdessen studieren die Neulinge nach dem sogenannten
Core-Prinzip. Der Ansatz steht für „Competence Oriented
Research and Education“ und funktioniert nach der Idee
des „Constructive Alignment“, einem didaktischen Konzept
Didaktik.
Carsten Schermuly, Professor für Wirtschaftspsychologie an der SRH Hochschule
Berlin, hat sich dazu entschlossen, für Erstsemester keine Vorlesungen mehr zu halten, weil
„Frontalberieselung“ ein didaktisches Format aus dem 14. Jahrhundert sei.
Alltag.
An den Universitäten findet Wissensvermittung
traditionell meist in (überfüllten) Vorlesungen statt.
kommen Praktiker aus Unternehmen zu Besuch, die aus
erster Hand über Schwierigkeiten im Arbeitsalltag berich-
ten.
Zum Anschauungsunterricht gehört auch, dass die Studen-
ten psychologische Experimente durchführen. Schermuly
schickte seine Studenten einmal zur nächsten U-Bahn-
Station, um die Hilfsbereitschaft der Berliner zu messen.
Einige Studenten nahmen sich vor, Passanten um ihr Handy
zu bitten, um die Eltern anzurufen – mussten jedoch fest-
stellen, dass dies kulturell wohl überhaupt nicht üblich
ist. Niemand half ihnen weiter. Wenn Experimente schei-
tern, fangen das die Dozenten mit ihrem pädagogischen
Geschick auf und erarbeiten positive Lernerfahrungen.
Die Vorteile liegen auf der Hand
Sind die Studenten mit dem Core-Ansatz glücklicher? Diese
Frage will Schermuly nicht unbedingt bejahen. Die Studen-
ten seien so intensiv in das Lernsetting integriert, dass sie
nicht einfach fehlen könnten, um in Berlin feiern zu gehen.
Viele Theorieprüfungen finden außerdem nicht mehr am
Ende des Semesters, sondern schon innerhalb der ersten
fünf Wochen statt. Hinzu kommt laut Schermuly, dass die
Studenten stärker als früher sozialen Druck spüren, der sie
dazu bringt, pünktlich ihren Part in den Gruppenarbeiten zu
erledigen. Die Vorteile liegen jedoch auf der Hand: Die Lern-
inhalte verankern sich durch die eigene Erfahrung viel bes-
ser im Langzeitgedächtnis. Stärkere Eigenverantwortung
und Selbstkompetenzen bereiten die Studenten besser
darauf vor, künftig in agilen Teams oder generell in einem
New-Work-Umfeld klarzukommen. „Bisher haben wir noch
keine langfristigen Erfahrungen, aber wir sehen deutlich in
unseren Evaluationsergebnissen, dass sich die Studenten
stärker empowered fühlen, weil sie gefordert werden und
lernen, wie sie in Selbstorganisation Aufgaben bewältigen“,
betont Schermuly.
Die Idee, Vorlesungen abzuschaffen, kam Schermuly, als
er sich mit dem New-Work-Ansatz befasste, der derzeit
die Arbeitswelt beschäftigt. Wer später in flachen Hierar-
chien Leistung bringen und innovativ sein müsse, der sollte
selbstbestimmtes Arbeiten bereits im Studium lernen,
dachte sich Schermuly. Seinen Studenten wollte er deshalb
mit „psychologischem Empowerment“ (gezieltes Erleben
von Bedeutsamkeit, Kompetenz, Selbstbestimmung und
Einfluss) auf die Sprünge helfen.
Stefanie Hornung
des australischen Psychologen John Burville Biggs. Das
„Constructive Alignment“ weist Ähnlichkeiten zur „lernziel-
orientierten Didaktik“ auf und beruht theoretisch auf der
Verbindung eines konstruktivistischen Lehr- und Lernver-
ständnisses mit einem ergebnisorientierten Lehrdesign.
Kerngehalt des Konzepts ist die Abstimmung nicht nur von
Teaching-Learning-Activities, sondern auch von Assess-
ments mit intendierten Learning Outcomes. Biggs beein-
flusste die Hochschuldidaktik weltweit. Seine Ideen sind
Grundpfeiler der Bologna-Reform.
Mehr Projektarbeit & Präsentationen
Bevor Vorlesungen abgeschafft werden können, muss die
Hochschule überlegen, welche Kompetenzen die Studen-
ten künftig überhaupt brauchen werden. Auf dieser Grund-
lage entsteht dann die Planung der Semester. Eine Klausur
macht nur noch etwa 25 Prozent der Prüfungsleistung aus.
Der Rest setzt sich aus Projekten, Experimentalberichten,
Präsentationen und Konzepten sowie praktischen Aufga-
ben zusammen. Das BWL-Thema „Personalauswahl“ bear-
beiten die Studenten zum Beispiel nicht nur theoretisch,
sondern auch praktisch: Sie müssen ein Auswahlgespräch
durchführen und ein Assessment Center kreieren. Häufig
Foto: mauritius images / Peter Enzinger
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