training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
01_2018
wurscht.“ Markus Weingärtner, stellver-
tretender Bereichsleiter der IHK Mün-
chen, glaubt, dass es über die Verbände
schon Standards und eine gewisse Re-
gulierung gebe. „Ich bin ambivalent und
wäre für Selbstregulierung“, sagte Geertje
Tutschka, ICF-Deutschland-Vorsitzende.
Bald Coaching-Prozesse
per App?
Wie unsicher die Zukunft von Coaching
ist, hatte sich bereits in einer anderen
Diskussionsrunde gezeigt. „Coaching
wird demokratischer und digitaler wer-
den“, glaubt Stefan Stenzel, zuständig
für Global Leadership Development und
die Entwicklung des Coaching-Systems
bei SAP. Künstliche Intelligenz werde
zu immer mehr Expertensystemen füh-
ren, die Coaching-Prozesse per App
ohne Coach abwickeln. So biete seine
Krankenkasse schon heute eine App
für Depressive an. Und wenn die Prog-
nosen stimmen, dass in einigen Jahren
60 Prozent der Arbeitnehmer nur noch
einen Teilzeitjob haben, könne sich auch
keiner mehr ein teures Coaching leisten.
In der Diskussion um den Gesetzent-
wurf gingen die Meinungen auseinan-
der. Ein Gesetz mache Coaching seriöser,
glaubte eine Teilnehmerin. „Wer ent-
scheidet letztlich über eine Zulassung als
Coach?“, fragte eine andere. Das könne
man über eine staatliche Anerkennung
machen oder der Staat könne das – wie
zum Beispiel bei der Architektenkam-
mer – an den Berufsverband delegieren,
erklärte Siebel. Voraussetzung dafür sei
allerdings ein stabiler Dachverband.
Dass ein Gesetz auch unerwünschte Ne-
benwirkungen haben könne, beschrieb
eine Zuhörerin am Beispiel des Psycho-
therapeutengesetzes. Nachdem dies in
Kraft trat, konnte sie als Betriebswirtin
und ausgebildete Gestalttherapeutin
nicht mehr psychotherapeutisch tätig
sein. Allerdings lasse sich die Beschrän-
kung durch die Heilpraktikerprüfung in
Psychotherapie beheben. Mit dem Psy-
chotherapeutengesetz habe er sich noch
nicht beschäftigt, wolle das aber tun, er-
klärte Siebel. „Warum machen wir nicht
Aufklärung statt einem Gesetz?“, fragte
ein Coach und regte an, dass der von den
Coaching-Verbänden getragene Round
Table Coaching (RTC) mehr Öffentlich-
keitsarbeit betreiben solle. Ein Coach
äußerte die Befürchtung, dass Coaching
durch ein Gesetz möglicherweise zu aka-
demisch werde. Aber Coaching müsse
etwas Praktisches bleiben. Ein Gesetz
verhindere nicht, dass Coachs ganz prak-
tisch neue Methoden erfinden dürften,
betonte Siebel.
So hätte eine Kollegin gerade die neue
Methode „EMDR und Trampolinsprin-
gen“ entwickelt. Erklärt wird dieses
„Neo Wave Coaching“ in der Coaching-
Szene als neue Coaching-Methode, die
das Schwingen und Springen auf einem
klassischen Trampolin mit EMDR-Inter-
ventionen und der lösungsfokussierten
Skalenarbeit nach Steve de Shazer kom-
biniere. Erfunden hat es Julia Schwarzer-
Wild, die wiederum Ausbildungsleiterin
einer vom BDVT zertifizierten Coaching-
Ausbildung bei Wild Consulting Training
Coaching in Bonn ist. Ein Blick auf die
Inhalte dieser Ausbildung zeigt eine Mi-
schung von lösungsfokussierten Kurz-
zeitinterventionen über NLP und „New
Life Design“, Embodiment, EMDR und
The Work nach Byron Katie. EMDR (Eye
Movement Desensitization and Repro-
cessing) ist eine Psychotherapiemethode,
die bei Posttraumatischen Belastungsstö-
rungen eingesetzt wird und deren auto
risierte Ausbildung nur Psychotherapeu-
ten offensteht.
„The Work“ von der Amerikanerin Byron
Kathleen Reid ist eine umstrittene Fra-
gemethode, bei der belastende Über-
zeugungen einfach umgekehrt werden
sollen. Damit werde einem Ratsuchen-
den die Schuld an seinem Unglück zu-
geschoben, kritisiert die Psychologin
Heike Dierbach in ihrem Buch „Die See-
lenpfuscher“. Das führe so weit, dass ein
Krebskranker in einem Youtube-Video
R
ICF-Coachingtag 2017.
65 Aussteller und 60
Referenten boten an zwei
Tagen Einblicke in die aktuelle
Entwicklung des Coaching-
Markts.
Fotos: ICF Deutschland, Ben Donderer