Wirtschaft und Weiterbildung 1/2018 - page 52

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wirtschaft + weiterbildung
01_2018
messen und kongresse
zu stören. Jennings setzt auf Hilfspro-
gramme (Performance Support Tools). Er
sagt: „Ich habe schon Situationen erlebt,
in denen Mitarbeiter trotz eines 12-Wo-
chen-Trainings ihre Arbeit nicht erledigen
konnten. Als wir einen bildschirmbasier-
ten Performance Support einführten, stei-
gerte sich ihre Leistung sofort um 20 Pro-
zent.“ Personalern, die Angst haben, auf
die 70-20-10-Methode zu setzen, beruhigt
Jennings: „Unter den mehr als 200 Orga-
nisationen, die ich bisher betreut habe, ist
nicht eine Einzige, bei der die Einführung
der 70-20-10-Methode zu Mehrkosten ge-
führt hat.“
Soziale Netzwerke sind übrigens sehr
wichtig für das Lernen am Arbeitsplatz.
Je besser Menschen vernetzt seien, desto
mehr Leistung könnten sie erbringen.
„Wir lernen ständig von anderen in un-
serer täglichen Arbeit. Studien haben er-
geben, dass, gemessen an ihrer Leistung,
die oberen 20 Prozent der Manager ten-
denziell stärkere Netzwerke betreiben als
ihre weniger leistungsfähigen Kollegen“,
ist sich Jennings sicher.
Kritik an der
70-20-10-Methode
Natürlich gibt es auch Kritik an der
„70-20-10-Formel“. Hinter ihr stehe die
Annahme, dass alle erwachsenen Men-
schen in den Unternehmen motivierte
Lerner mit großem Interesse an einer
Weiterentwicklung seien. „Das ist eine
Lüge. Menschen sind nicht so“, sagt der
Lerntransfer-Experte Dr. Axel Koch. Nur
den wenigsten Menschen gelänge es, aus
herausfordernden Situationen wichtige
Lerneinsichten zu destillieren und diese
künftig gewinnbringend anzuwenden.
Nicht die Erfahrung führe zum Lernen,
sondern die Tatsache, dass darüber re-
flektiert werde.
Erst durch die bewusste Auswertung von
Erfahrungen und bewusste Absichten,
Dinge anders zu tun, würde ein Erfah-
rungslernen wirksam. Die Gesetzmäßig-
keit des informellen Lernens besteht laut
Koch aus vier Stufen: der Erfahrung, dem
Feedback, der Reflexion und der Absicht
zu lernen. Diese Form des Erfahrungs-
lernens lasse sich bewusst in den Ar-
beitsalltag als After Action Review (AAR)
integrieren. Doch Koch weist nachdrück-
lich auf Studien hin, dass nur zehn Pro-
zent einer Belegschaft solch lernagile
Persönlichkeiten seien. 60 Prozent seien
lerntechnisch eher passiv. Die restlichen
30 Prozent hätten mit Lernen gar nichts
am Hut.
Angesichts der Tatsache, dass der rich-
tig gute selbstorganisierte Lerner eher
die Minderheit darstellt, sollte man laut
Koch das 70-20-10-Bildungsmodell kom-
plett umformulieren und damit den Weg
ebnen zu einer besseren Individualisie-
rung des Lernens. Die „richtige“ Formel
für das neue Lernzeitalter lautet nach
Koch „20-30-50“:
• 20 Prozent der Lerner sind lernagil,
veränderungsoffen und transferstark. Je
mehr ein Unternehmen davon hat, umso
besser.
• 30 Prozent der Lerner sind besser als
der Durchschnitt. Es gibt vereinzelte Han-
dicaps für selbstgesteuerte Lern- und Ver-
änderungsprozesse. Doch wenn man die
Risikofelder kennt, kann man gut gegen-
steuern und diese Bereiche ausbauen und
stärken.
• 50 Prozent der Lerner fehlen mehr oder
weniger entsprechende Einstellungen und
Fertigkeiten für selbstgesteuerte Lern- und
Veränderungsprozesse.
Das informelle Lernen braucht laut Koch
also Begleitung und Unterstützung. Be-
sonders Führungskräfte seien hier gefor-
dert. Je nach Mitarbeiter müsse man sich
die Frage stellen, ob sich der Zeit- und
Energieaufwand überhaupt lohne, feh-
lende Kompetenzen aufzubauen.
Weitere Keynote-Speaker
Die Besucher der Learntec dürfen sich
auf eine interessante, kontroverse Diskus-
sion mit Charles Jennings freuen. Weitere
wichtige Speaker sind:
• Jane Massy, CEO der Abdi Ltd. (UK).
Sie spricht zum Thema: „Better Evalua-
tion in Technology Enhanced Learning“.
• Dr. Henning Beck, Neurowissenschaft-
ler, Er hält den Vortrag: „Lernst du noch
oder verstehst du schon – Der Weg des
Wissens zu den Nervenzellen“.
• Außerdem gibt es eine Podiumsdiskus-
sion zum Thema: „Der Digitalisierungs-
Marathon – noch am Start oder Ziel in
Sicht?“. Auf dem Podium sitzen Martin
Schallbruch, Deputy Director des Digital
Society Institute, European School of Ma-
nagement and Technology, Dr. Eberhard
Niggemann, Leiter der Weidmüller Aka-
demie, und Annika-Kristin Härtel, Mana-
ger Human Resources Learning & Deve-
lopment bei Telefónica.
Ansonsten kümmert sich die Learntec
auch intensiv um den Nachwuchs. Auf-
grund des großen Erfolgs in den vergange-
nen Jahren wurde die Start-up-Area noch
einmal vergrößert. Insgesamt werden sich
mehr als 20 junge Unternehmen dort prä-
Charles Jennings.
Der 70-20-10-Experte
fordert mehr „Performance Support“.
Foto: Duntroon Consultants
R
Learntec.
Viele Vorträge auf dem Trendforum der Messe sind echte Publikumsmagneten.
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