wirtschaft + weiterbildung
01_2018
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PDCA-Phase 2:
Do!
Anders lag die Sache für Haas. Sie fragte
den Teamleiter, ob er genau wisse, wie
die Mitarbeiter beim Rollenwechsel vor-
gingen. Außerdem wollte sie wissen, ob
es eine schriftliche Beschreibung gebe,
wie dieser zu erfolgen habe – auch zum
Einarbeiten neuer Mitarbeiter. Mays Ant-
wort auf beide Fragen lautete: Nein. Also
schauten sich Haas und May in einer
weiteren Nachtschicht den Rollenwech-
sel durch erfahrene und unerfahrene
Mitarbeiter an. Dabei registrierten sie
Unterschiede: Die erfahrenen Mitarbei-
ter achteten darauf, dass das Band beim
Wechsel den Boden nicht berührte, so-
dass kein Schmutz in den Spender kam.
Bei den unerfahrenen hingegen glitt das
Etikettenband oft auf den Boden. So sam-
melte sich allmählich Schmutz im Etiket-
tenspender, sodass sich das Band von
Zeit zu Zeit verhakte. Dies führte zu den
Ausschussflaschen. Haas bat den Team-
leiter daraufhin, sich mit seinem Team
mögliche Gegenmaßnahmen zu überle-
gen, diese zu priorisieren und einen Ak-
tionsplan zu erstellen. Das tat May mit
seinem Team. Als mögliche Gegenmaß-
nahmen formulierten sie unter anderem:
• Der Boden wird alle zwei Stunden ge-
reinigt.
• Auf dem Boden vor dem Etikettenband-
abwickler wird ein Gitterrost montiert,
durch den eventueller Schmutz fallen
kann.
• May definiert schriftlich den idealen
Prozessablauf beim Rollenwechsel und
schult seine Mitarbeiter entsprechend.
Aufgrund der Priorisierung erstellten die
Teammitglieder einen konkreten Maß-
nahmenplan – nebst Verantwortlichkei-
ten. Außerdem vereinbarten sie, dass
der aktuelle Status des Projekts bis Ende
März stets an der Shopfloor-Tafel der Eti-
kettierlinie dokumentiert wird und hier-
über regelmäßig in der täglichen Shop
floor-Runde des Teams zu sprechen ist.
PDCA-Phase 3:
Check!
In den folgenden Wochen trafen sich
Haas und May wöchentlich, um die Ent-
wicklung der Ausschusszahlen zu studie-
ren. Zudem definierten sie aufgrund der
bisher im Projekt gesammelten Erfahrun-
gen weitere Maßnahmen – zum Beispiel,
dass die Maschine stets gestoppt wird,
wenn das Etikettenband den Fußboden
berührt. Das führte dazu, dass am 31.
März der Ausschuss um fast 70 Prozent
gesunken war. Das geplante Ziel wurde
somit übertroffen. Haas gratulierte May
zu dem Erfolg und bat ihn, eine Einschät-
zung der Wirkung seiner Maßnahmen
hinsichtlich der Kunden, der Flaschenfa-
brik und seiner eigenen Person vorzuneh-
men. Außerdem sollte er ihr die Gründe
für den Erfolg nennen. May antwortete:
Der Rollenwechsel sei nun prozesssicher.
Das führe zu weniger Reklamationen und
einer höheren Kundenzufriedenheit und
die Flaschenfabrik spare wegen des gerin-
geren Ausschusses Geld. Und er selbst?
Sein Selbstvertrauen sei durch die Pro
blemlösung gestiegen, was ihn dazu ani-
miere, auch andere Probleme aktiv anzu-
gehen. Durch das sehr strukturierte Vor-
gehen bei der Problemanalyse wurde also
nicht nur die Kernursache des Problems
ermittelt, sondern auch eine pragmati-
sche und nachhaltige Lösung gefunden.
Tatsächlich alle Mitarbeiter brachten ihre
Erfahrungen in den Verbesserungsprozess
ein.
PDCA-Phase 4:
Act!
Nach dieser Einschätzung fragte Haas
den Teamleiter, was er hinsichtlich einer
Standardisierung tun wolle. Er erwiderte,
er werde eine schriftliche Beschreibung
des optimalen Prozesses „Wechsel der
Etikettenrolle“ erstellen – auch zum Ein-
arbeiten neuer Mitarbeiter. Außerdem
werde er fortan täglich eine Prozesskon-
trolle durchführen, um Soll/Ist-Abwei-
chungen und Verbesserungschancen
früher zu erkennen. Haas lobte May und
bat ihn, im nächsten Teamleiter-Meeting
die Teamleiter der vier anderen Etiket-
tierlinien über den neuen Standard und
die Erkenntnisse in dem PDCA-Problem-
lösungsprozess zu informieren, damit sie
von seinen Erfahrungen lernen könnten.
Sie selbst informierte den Abteilungslei-
ter Flaschenfertigung, dass das Problem
„zu geringe Flaschenproduktion“ gelöst
sei. Das Lösen von Problemen mit dem
PDCA-Zyklus, wie in dem Fallbeispiel be-
schrieben, erfordert von allen Beteiligten
spezielle Fähigkeiten – insbesondere von
den Führungskräften.
Sie müssen sich unter anderem als Coach
und Lernbegleiter ihrer Mitarbeiter ver-
stehen und bereit sein, sich intensiv mit
ihnen und den wertschöpfenden Prozes-
sen zu befassen. Hierfür gilt es wie im
Fallbeispiel auch begleitende Schulungen
durchzuführen. Sonst zeigt sich rasch ein
Problem, das man häufig bei Unterneh-
men, die den PDCA-Zyklus ohne eine
Schulung ihrer Führungskräfte einsetzen,
registrieren kann: Sie sind zwar ziemlich
gut in den Phasen „plan“ und „do“ des
PDCA-Prozesses, haben aber Schwierig-
keiten bei den Phasen „check“ und „act“
– also dann, wenn es darum geht, aus
den ersten Initiativen die erforderlichen
Schlüsse zu ziehen und eventuell das ge-
plante Vorgehen zu variieren sowie aus
den Erfahrungen in dem Projekt neue
Standards abzuleiten und diese im Un-
ternehmen zu etablieren. Die zentrale Ur-
sache hierfür: Die Führungskräfte haben
noch nicht ausreichend das erforderliche
Selbstverständnis verinnerlicht, dass sie
primär Coachs und Lernbegleiter ihrer
Mitarbeiter sind.
Deshalb geben sie ihnen aufgrund ihrer
fachlichen Expertise in den Phasen
„plan“ und „act“ oft noch (unbewusst)
die Lösung des Problems vor. Dann fin-
den bei den Mitarbeitern nicht die ge-
wünschten Lernprozesse statt – weshalb
ihre Problemlösekompetenz nicht steigt.
Dies verhindert, dass sie im Arbeitsalltag
auf Probleme mit der gewünschten Flexi-
bilität reagieren.
Dr. Daniela Kudernatsch
Dr. Daniela
Kudernatsch
ist
Managing
Director der Unter-
nehmensberatung
Dr. Kudernatsch
Consulting & Solutions, Straßlach
bei München. Sie hält unter anderem
Seminare zum Thema „Hoshin Kanri –
Policy Deployment – der effektive Stra-
tegieumsetzungsprozess“.
Dr. Daniela Kudernatsch
Fußsteinerstraße 3
82064 Straßlach bei München
Tel. 08170 92233
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