wirtschaft + weiterbildung
10_2018
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Schirmer:
Die größte Schwierigkeit dieser
Herangehensweise ist, das System durch
Übertakten zur Veränderung zu bekom-
men, ohne dabei die Beteiligten in den
Burn-out zu treiben. Das ist eine Grat-
wanderung und bisher bin ich diesbezüg-
lich nur teilzufrieden.
Es funktioniert dann gut, wenn die Leute
einsehen, dass es mit ihrer bisherigen Art
zu arbeiten nicht mehr geht und direkt
versuchen, anders an die Dinge heran-
zugehen. Teilweise sind die Kollegen so
engagiert, weil sie so neugierig sind und
das vorantreiben wollen, dass sie sich zu
wenig um zeitliche Rahmen kümmern.
Da müssen Führungskräfte die Mitarbei-
ter bremsen und heimschicken, damit
sie gesund bleiben. Um eine positive Dy-
namik zu erzeugen, müssen Sie viel mit
Wertschätzung arbeiten. Damit Erfolge
viral werden, sollte man sie sofort sicht-
bar machen.
Könnten Sie mal ein kleines Beispiel
dafür geben, wie so eine Initiative viral
wird?
Schirmer:
Wir haben zum Beispiel die
42er-Community. Die Storyline ist ange-
lehnt an Douglas Adams‘ „Per Anhalter
durch die Galaxis“: 42 ist die Antwort
auf die Fragen aller Fragen. Dabei geht
es nicht darum, Antworten zu geben,
sondern intelligentere Fragen zu stellen.
Wir haben für diese Community einen in-
ternen Videokanal erstellt und zunächst
alle drei Wochen ein Video geplant. Dann
ging die Diskussion los, nach dem Motto,
das ist viel zu viel und das schafft kei-
ner. Wir haben aber einfach angefangen
und waren plötzlich drei Wochen in Folge
on Air mit einer interessanten Show und
dem Digitalpionier Ingo Stoll als Modera-
tor. Wir haben versucht, das Ganze hu-
morvoll anzugehen. Inzwischen haben
wir 36 Folgen der Show und über 20.000
Mitarbeiter in der Community. Natür-
lich sind nicht alle aktiv, aber eine halbe
Million Zugriffe auf den Videoblog des
Projekts und unzählige Rückmeldungen
zeigen den Erfolg. Da sagen selbst hart-
gesottene Kommunikatoren: „Ihr habt da
schon ordentlich was bewegt.“ Der Blog
ist kunterbunt und inzwischen teilen
Leute auf der ganzen Welt dort ihre Er-
fahrungen.
Wenn das andere Konzerne hören, sagen
sie sicher, bei uns geht das nicht. Wie
kommt es, dass Sie so viele Freiheiten
haben?
Schirmer:
Bei uns geht das auch nicht.
Aber ich orientiere mich einfach nur an
den Werten, die wir uns gegeben haben
– und die haben sicher viele andere Kon-
zerne auch. Wenn unser Vorstand sagt,
wir wollen „most attractive, most pro-
gressive“ werden, braucht es natürlich
Führungskräfte und Mitarbeiter, die das
ernst nehmen und umsetzen. „Hand-
lungsfreiheit“ und „Vertrauen“ gehören
zu unserem Wertekatalog. Wenn jetzt
jemand zu mir kommt und sagt, „Das
darfst Du nicht machen“, verweise ich
einfach darauf. Ich versuche so die Stra-
tegievorgaben zu leben. Mein Ziel ist es
jedoch, dass diese Veränderungsinitiati-
ven immer schon von Anfang an so er-
folgreich sind, dass ich damit sowieso
die besseren Argumente habe. Wir haben
zum Beispiel ein internes Social Enter-
prise Network namens Connext. Wenn
eine Führungskraft sagt, sie kann darüber
nicht kommunizieren, weil nicht alle Mit-
arbeiter dort angemeldet sind, dann ist
mein Kommentar: „Schafft einen Single
Point of Entry!“. Wenn die Informationen
nur da zu finden sind, sind bald auch
alle Mitarbeiter drin. Dann bekommt die
Plattform echte Businessrelevanz.
Dennoch ist das ohne Commitment des
Vorstands schwer. Sie haben ja schon
viele Wechsel im Personalressort erlebt.
Sind alle in der Position immer Ihrer
Argumentation gefolgt?
Schirmer:
Bevor Ariane Reinhart als Per-
sonalvorstand kam, wurde es mir teil-
weise verboten, mit den Guides weiter zu
arbeiten. Anfangs hieß es: „Herr Schir-
mer, Sie bauen sich da ein Imperium auf.
Das wird nicht passieren.“ Heute kann
ich sehr viel darüber berichten, was wir
bei Continental machen und ich erlebe
unglaublichen Rückhalt vom Vorstand –
auch von unserem Finanzvorstand Wolf-
gang Schäfer und unserem CEO Elmar
Degenhart. Wenn der CEO nicht schon
das ein oder andere Mal gesagt hätte,
„Super, Herr Schirmer, weiter so!“, dann
wäre vieles nicht möglich gewesen – wie
beispielsweise auch, dass ich seit einein-
halb Jahren gar keinen Büroarbeitsplatz
mehr habe, sondern vom Homeoffice
oder von unterwegs arbeite. Aber natür-
lich gehört da auch immer ein bisschen
Frechmut dazu.
Ihr Vorstand hat auch die Parole
herausgegeben, dass die Organisation
„effizienter und produktiver“ werden
soll. Wie motiviert sind die Mitarbeiter,
sich für dieses Ziel einzubringen und zu
beteiligen?
Schirmer:
Das kann natürlich gefühlsmä-
ßig schnell so ankommen, dass die Mitar-
beiter denken: „Jetzt soll ich noch mehr
arbeiten in kürzerer Zeit.“ Wer möchte
sich schon dafür einsetzen? Die Digita-
lisierung schafft Zeit- und Ortsunabhän-
gigkeit und vor allem Skalierbarkeit. Man
kann mit weniger Aufwand mehr Wir-
kung erzielen. Das klingt positiv und das
bestätigen die meisten. Die Freiräume,
die durch Digitalisierung entstehen, wol-
len wir positiv füllen. Deshalb haben wir
einen Dreisatz daraus gemacht: Digitali-
sierung führt zu mehr Effizienz und Pro-
duktivität und damit zu mehr Zeit, um
zu lernen und sich weiterzuentwickeln.
Das zahlt dann auf Ziele des Vorstands
und die der Mitarbeiter ein, von denen
wir nur eine Initial-Investition brau-
chen. Wenn sich die Rahmenbedingun-
gen ändern, gilt es erst zu lernen, damit
umzugehen. Austausch, Weiterbildung,
Beteiligung – so können wir uns ständig
verbessern.
Interview: Stefanie Hornung
Hinweis:
Das zu Beginn dieses Inter-
views erwähnte Lifevideo von der „Glo-
bal HR Conference“ steht für alle Wei-
terbildungsprofessionals frei zugäng-
lich auf Youtube:
watch?v=7pB1PCY3lfU
„Digitalisierung führt zu mehr Effizienz und
Produktivität und damit auch zu mehr Zeit. Diese
Zeit wollen wir nutzen, um zu lernen.“
Harald Schirmer