personal- und organisationsentwicklung
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wirtschaft + weiterbildung
10_2018
um den Flächenplan ging, änderte der
ÖAMTC das Procedere. „Wenn immer nur
dieselben Leute mitarbeiten, sind nicht
unbedingt alle Stimmen einer Abteilung
repräsentiert“, findet Personalentwick-
lerin Jutta Ableitinger. Deshalb hat der
ÖAMTC für die damals rund 50 Abteilun-
gen jeweils einen Flächenplaner gesucht
und die Mitarbeiter Freiwillige aus den
eigenen Reihen dazu wählen lassen. Es
wurden Boxen aufgestellt und Stimmzet-
tel verteilt. Die Vorgesetzten hatten ein
Vetorecht, doch davon machte nur einmal
eine Führungskraft Gebrauch. „Sie hatte
Bedenken, dass die laufenden Aufgaben
leiden könnten, aber die gewählte Reprä-
sentantin wurde trotzdem genommen,
weil sie gut argumentieren konnte“, so
Ableitinger. Die Personalabteilung beglei-
tete den Planungsprozess, vermittelte,
wenn es Konflikte gab. Die ein oder an-
dere Mediation war nötig, um einen Kon-
sens zu finden.
In der ersten Projektphase ging es vor-
wiegend darum, das Zukunftsbild des
ÖAMTC zu entwickeln – eine beachtliche
Aufgabe für Beschäftigte, die in ihrem
täglichen Alltagsgeschäft stecken. Um die
Vorstellungskraft für die Zukunft anzure-
gen, ging es in einem Workshop zurück
in die Vergangenheit: Die Teilnehmer soll-
ten sich darüber austauschen, wie ihre
Branche vor 15 Jahren aussah. Die Idee:
„Der rückwärtsgewandte Blick schult die
Vorstellungskraft und fördert die Fähig-
keit, Veränderung zu denken“, erläutert
Moocon-Geschäftsführer Karl Friedl.
Vor allem in der Flächenplanungsphase
hatten die Mitarbeiter völlige Gestaltungs-
freiheit für ihre Bereiche – ob Callcenter,
Werkstatt, Reisebüro oder die eigentli-
chen Büroflächen. Jeweils 15 Kollegen
pro Abteilung trafen sich mit Architek-
ten und Büromöbelherstellern. Sie soll-
ten die Flächen- und Funktionsbedarfe
in Architekturstandards übersetzen. Die
Beteiligten führten eigenständige Tests
und Recherchen durch. Sie nutzten Kar-
ton-Modelle, 1:1 Schablonen, Legosteine,
virtuelle 3D-Modelle und Planungskof-
fer. Letztere enthielten Möbelelemente,
die sich mittels Magnet auf einer Tafel so
lange hin und her schieben ließen, bis der
gewünschte Bürogrundriss gefunden war.
Die Arbeitsplätze konnten sich so trotz
gleichem Grundriss teilweise stark unter-
scheiden. Führungskräfte und Mitarbeiter
arbeiteten in den Planungsgruppen auf
Augenhöhe zusammen – eine Erfahrung,
die für viele neu war. Mitarbeiter mussten
ihre Entscheidungsfreiheit nutzen lernen,
während Führungskräfte Entscheidungs-
hoheit abgeben mussten. „Wir haben das
sehr gut gemeistert. Ich verhehle aber
nicht, dass man in so einem Transfor-
mationsprozess auch den einen oder an-
deren verliert, der sich mit dieser neuen
Arbeitsweise nicht anfreunden kann“, so
Schmerold, der sich dennoch zufrieden
zeigt. Viele Mitarbeiter seien sehr verant-
wortungsvoll mit der Freiheit umgegan-
gen und hätten Spielräume nicht ausge-
nutzt. Das werde oft falsch eingeschätzt.
„Ich habe mit den partizipativen Prozes-
sen aber immer nur positive Erfahrungen
gemacht.“
Das Architekturprojekt wurde
zum Partizipationsprojekt
Den Wunsch, reinzugrätschen, habe er
nur dann verspürt, wenn ihm die Ver-
änderung nicht weit genug ging. Durch
Gespräche seien die meisten Mitarbeiter
aber selbst darauf gekommen, dass ein
Multispace-Büro für die Anforderungen
am besten passt. Im Lauf des Projekts
entstand eine gemeinsame Maxime: „Wir
teilen alles bis auf den eigenen Arbeits-
platz.“ In dem neuen Haus gibt es keine
vorreservierten Flächen für einzelne Ab-
teilungen oder Personen. Überall sind
Teeküche, Besprechungs- und Rückzugs-
räume für alle da. Was sich selbstver-
ständlich anhört, war für den ÖAMTC ein
Umbruch. Im vorherigen Stammhaus am
Schubertring hatte der Direktor deshalb
schon vor dem Umzug seine Etage für alle
geöffnet – ein Schritt, den die etwa 120
Mitarbeiter an dem Standort anfänglich
eher zögerlich annahmen. Über zwei bis
drei Jahre hätten sie sich so aber schon
an die Arbeitsweise im neuen Gebäude
gewöhnen und Schwellenangst abbauen
können.
Desksharing ging dem ÖAMTC jedoch zu
weit. Schmerold stellte mit seinem Ma-
nagementteam Berechnungen an, was
man dadurch sparen könnte – in Bezug
auf Fläche und Anzahl der Arbeitsplätze.
„Wir sind darauf gekommen, dass die
Einsparung überschaubar ist und durch
einen hohen kulturellen Umstellungsauf-
wand aufgewogen würde. Unsere Ent-
scheidung war hundertprozentig richtig.
Das wäre die eine Portion Veränderung
zu viel gewesen.“ Dennoch sollen die
Mitarbeiter nicht an ihrem Schreibtisch
kleben. Es ist ausdrücklich erwünscht,
dass sie sich im Lauf des Tages durch
das Haus bewegen, sich verändern und
immer wieder unterschiedliche Arbeitssi-
tuationen einnehmen. „Allein durch die
körperliche Mobilität entsteht auch eine
geistige. In Gesprächen mit Kollegen oder
Mitgliedern kommen die Gedanken in Be-
wegung“, so Schmerold.
In fünf Tranchen zogen die ÖAMTC-
Mitarbeiter in das neue Gebäude ein.
Im Jahr 2016 feierte der Club gleichzei-
tig sein 120-jähriges Bestehen. Die Zahl
hat für die Organisation eine besondere
Bedeutung: Auch die Notrufnummer
lautet 120. Viele Flächenplaner wurden
ab 2016 zu Umzugsvorbereitern oder ar-
beiteten am sogenannten gelben Faden
mit: ein 24-seitiges Handbuch, das die
Umstellung von „Zellenbüros“ zu einem
Open-Space-Office begleitete und wich-
tige Informationen zum neuen Standort
enthielt. Beim Umzug erhielt jeder Mit-
arbeiter ein Exemplar. „Wir hatten mehr
Umzugsleute, als wir gebraucht haben. Es
war grandios, dass die Leute ihren Kol-
legen helfen und da sein wollten, wenn
sie in der neuen Umgebung ankommen“,
erinnert sich Friedl. Ein etwas späterer
Umzug hätte aus Sicht des Unterneh-
mensberaters nicht geschadet, denn die
Räumlichkeiten hatten teilweise noch
Baustellencharakter.
Doch daran habe sich dank der Beteili-
gung vieler Mitarbeiter fast niemand ge-
stört. „Ich stand dort an diesem Display
im Gemeinschaftsbereich, rechts von mir
ein Schutthaufen und noch keine Verklei-
dung an der Wand. Wir haben uns dort,
wo der Teppich anfängt, so blaue Verhü-
terli über die Schuhe gezogen und auf
einem Tisch aus dem alten Büro die „gel-
ben Faden“ für Neuankömmlinge vorbe-
reitet. Für uns war die Gemeinsamkeit
spürbar und das hatte Pioniercharakter“,
sagt Ableitinger mit leuchtenden Augen.
Durch die starke Partizipation der Mit-
arbeiter war das neue Gebäude keine
große Überraschung. Doch „Partizipation
braucht Kommunikation“, meint Berater
R