wirtschaft und weiterbildung 10/2018 - page 39

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wirtschaft + weiterbildung
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„Es gibt kaum ein Forum, das ich zu or-
ganisieren habe, bei dem es so schwer
ist, Teilnehmer auf die Bühne zu bekom-
men“, mit diesen Worten eröffnete Rei-
ner Straub, Herausgeber des Personal-
magazins, das von ihm moderierte Panel
„Failing Forward“. Um Niederlagen sollte
es gehen, um persönliche Lebensläufe
und Erfahrungen mit dem Scheitern. Al-
lerdings habe die Personalsuche für die
Veranstaltung gezeigt: Noch immer klaffe
ein Gap zwischen der Behauptung, dass
Fehler wünschenswert seien, und einer
Realität, in der niemand gern Lücken im
Lebenslauf offenbare.
Anne Koark: Als alleinerzie-
hende Mutter vor dem Nichts
Drei mutige Persönlichkeiten aus dem
Managementumfeld ließen sich dann
doch breitschlagen. Eine davon gilt hier-
zulande als vielleicht glaubwürdigste
Stimme, wenn es ums Scheitern geht:
die britische Unternehmerin Anne Koark.
Mit ihrer Firma „Trust in Business“, die
ausländischen Firmen bei Geschäften in
Deutschland half, wurde sie als Existenz-
gründerin in den Medien gefeiert. Doch
dann kam der Absturz in die Insolvenz.
Sie verlor ihr Unternehmen und ihre Ei-
gentumswohnung. Als alleinerziehende
Mutter stand sie vor dem Nichts. „Dass es
immer vorwärts geht – das funktionierte
plötzlich nicht mehr. Es war wie eine
schwarze Wand, die ich nicht aufhalten
konnte“, erinnerte sie sich heute. In einer
Situation, in der sie alle für eine Versage-
rin hielten und ihr nichts mehr zutrau-
ten, besann sie sich auf die Dinge, die ihr
niemand wegnehmen konnte: die eigene
Arbeitskraft, Ideenreichtum, Kontakte.
„Man denkt immer, Leute, die pleite sind,
kennen niemanden mehr. Aber wenn sie
ehrlich und aufrichtig mit anderen um-
gegangen sind, dann haben sie ein super
Netzwerk“, so Koark. Sie musste damals
wieder an einen ehemaligen Vorgesetz-
ten denken und eine Situation, in der sie
einen riesigen Fehler machte: Einst sollte
sie die Gehälter zum Steuerberater faxen,
erwischte jedoch den falschen Knopf und
so landeten die Zahlen beim Lieferanten.
Sie gestand ihren Fehler sofort und sagte
ihrem Chef, er müsse sie entlassen. Statt-
dessen bekam sie eine Gehaltserhöhung.
„Wenn Menschen ehrlich mit Fehlern
umgehen, haben wir die Möglichkeit, zu
reagieren und sie schnell aus der Welt
zu schaffen. Solche Mitarbeiter will ich
haben“, lautete seine Begründung. Der-
artige Überlegungen trieben Anne Koark
dazu, über ihre Erfahrungen zu sprechen.
Sie schrieb einen Artikel und erlebte eine
überwältigende Resonanz: rund 1.200 Zu-
schriften. Sie wurde von der EU eingela-
den, über Insolvenz zu sprechen, durfte
mit der Bundesjustizministerin auf die
Bühne und Input für eine neue Gesetz-
gebung liefern. Sie gründete den Verein
„B.I.G. = Bleib im Geschäft e. V.“, um
die hohe Selbstmordrate der Betroffenen
zu bekämpfen. Kurzum, sie wurde zu
einer „Missionarin des Scheiterns“. „Man
muss ehrlich nach außen gehen und zu
dem stehen, was passiert ist. So findet
man etwas Schönes an sich und kann
die ureigenen Kräfte wieder aktivieren“,
sagt die Britin. Es gelte, sich ein Beispiel
an Kindern zu nehmen: Wenn sie laufen
lernten, hangelten sie sich am Tisch ent-
lang und ließen eines Tages los. Sie fielen
hin und stünden wieder auf, kämen nicht
auf die Idee, anderen die Schuld dafür zu
geben und sitzen zu bleiben. „Wer an-
deren die Schuld gibt, hängt in der Ver-
gangenheit. Und wie soll man da Zukunft
gestalten? Das ist keine Schuldfrage, son-
dern eine Lernfrage.“
Katharina Heuer: Auszeit
und Learning Journey
Auch Katharina Heuer, vor Kurzem noch
Geschäftsführerin der Deutschen Ge-
sellschaft für Personalführung (DGFP),
beschäftigt die Lernfrage. „Auszeit und
Learning Journey“ lautet ihre neue Posi-
tionsbeschreibung auf Linkedin. Die er-
folgreiche Managerin hat in Konzernen
Karriere gemacht – zunächst bei Daim-
ler, dann war sie Vorstand der DB Fern-
verkehr. Schon als sie bei der Deutschen
Bahn den Schritt wagte, von sich aus
zu gehen, nahm sie eine Auszeit. Auch
heute, nachdem sie sich auf eigenen
Wunsch von der DGFP trennte, möchte
sie innehalten. Viele bewunderten Heuer
für die transformative Kraft, die sie der
DGFP verlieh. „Als Überzeugungstäterin
ist man sehr aktiv und landet schnell im
Hamsterrad. Es bleibt wenig Zeit, nach-
zudenken“, so die Managerin. Sie erlebte
viele persönliche Schicksalsschläge: der
Tod ihres Vaters, der Partner kurz vor der
Querschnittslähmung und die Krankheit
ihrer Mutter. Sie wurde 50 und auch ihre
Gesundheit litt, sodass der Arzt ihre eine
Kur verschrieb. „Ich habe es zugelassen,
darüber nachzudenken, ob ich noch am
richtigen Fleck bin. Da war ganz stark der
Wunsch, etwas Neues tun. Dann habe ich
mich entschieden, rauszugehen.“ Bei der
Deutschen Bahn hat sie noch ein Drei-
vierteljahr die Dinge zu Ende gebracht,
bei der DGFP wollte sie sofort aufhören.
Alles für den Job geben, das sei sie so ge-
wöhnt in ihrer Generation. Die Entschei-
dung ist ihr sichtlich schwergefallen. „Es
ging darum, einfach zuzulassen, dass ich
nicht ganz fertig geworden bin“, sagt sie
zu ihrem mutigen Schritt.
Die Umsetzung ihrer Entscheidung sei
jedoch schwierig gewesen. Die Reaktio-
nen des Umfelds bewegten sich auf der
kompletten Bandbreite von Ablehnung
bis Erleichterung. Manche sagten: „End-
lich, warum hast Du das nicht schon viel
früher gemacht?“ Andere brachten kein
Verständnis auf und werteten ihren Ent-
schluss als Scheitern. „Da ist immer die
Stimme, die sagt, du kannst jetzt nicht
aufhören, du hast immer alles zu Ende
gemacht. Man geht nicht von Bord, wenn
das Schiff nicht im Hafen ist, sondern auf
der Sandbank liegt.“ Diese Überlegung
habe sie dazu bewogen, auf der Bühne
über das Thema zu reden. Es sei auch ein
schönes Gefühl, wieder die eigene Per-
son zu spüren. „Ich bin nicht Katharina
Heuer, die Geschäftsführerin der DGFP.
Ich bin Katharina Heuer mit allem, was
ich erlebt habe, mit all meinen Stärken,
Schwächen und Entwicklungspotenzia-
len.“
Bionade: Hilfe, das
Geschäftsmodell scheitert
Wie es sich anfühlt, wenn die eigene
Geschäftsidee und die geplante Zukunft
für ein Familienunternehmen scheitern,
verdeutlichte die Geschichte von Peter
Kowalsky, Erfinder der Bionade. Zu den
besten Zeiten verkaufte der Unternehmer
200 Millionen Flaschen des Kultgetränks
im Jahr. Doch dann ging dem mittelstän-
dischen Vertriebspartner Rhönsprudel
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