training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
02_2018
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„Sinnspuren: Dem Leben antworten“ (Re-
sidenz-Verlag, 2011): „Loslassen-Können
ergänzt das Wollen-Können wie die Stille
die Musik, das Schweigen das Reden, die
Nacht den Tag. Ohne den Wechsel kommt
es zu Verkrampfung, Fixierung, Einseitig-
keit, Störung, Krankheit, Tod. Loslassen-
Können sollte tief verankert sein, damit
man nicht abhängig und verbissen wird.
Wenn ich nur tun will, was ich kann und
vermag, mich auf meine Grenzen be-
schränke, bescheide ich mich und beherr-
sche das Loslassen-Können von dem, was
nicht möglich ist. Ich werde gelassen, es
auch nicht tun zu müssen – es weitet,
entspannt, erleichtert.
Das hat auch etwas mit Demut zu tun,
das Mögliche tun und sich beugen kön-
nen, wenn es nicht geht, dann die neuen
Fakten akzeptieren und sich fügen kön-
nen. Sich wieder öffnen, das Leben wei-
ter und größer sehen als nur ein Ziel vor
Augen zu haben.“ Wichtig ist laut Längle
Folgendes: Es gibt einen Unterschied zwi-
schen aufgeben und loslassen – und zwar
einen gewaltigen! Man gibt entweder auf
(aus Angst und schränkt sein Leben ein)
oder man lässt los (im Vertrauen und be-
freit sein Leben).
Wozu soll das Loslassen
eigentlich gut sein?
Wozu überhaupt Loslassen? Der deutsche
Sänger Andreas Bourani singt in seinem
Lied „Nimm meine Hand“ folgende Text-
zeile: „Lass los, was dich festhält … was
dich vom Abheben abhält. Nimm meine
Hand …“. Seine Botschaft: Es macht dann
Sinn, etwas loszulassen, wenn es uns
vom Abheben, von unserer Entwicklung,
vom Gehen unseres weiteren Wegs ab-
hält. Entwicklung und Veränderung sind
für das Leben der natürliche Fluss. Blei-
ben wir stehen, bedeutet das, dass wir
Kraft (!) gegen den Fluss aufwenden. Es
liegt in der Natur des Menschen, dass er
keine Veränderung will, er hat eine Vor-
liebe für Routinen. Das ist ein Dilemma,
wenn man bedenkt, dass ausgerechnet
Veränderung das treibende Motiv in der
Welt ist.
„Panta rhei – alles fließt“, das wusste der
griechische (vorsokratische) Philosoph
Heraklit von Ephesos um 500 vor Chris-
tus. Er stellte sich das Leben als großen
Strom vor, in dem sich die vielfältigen
Lebensformen ständig weiterentwickeln.
Jede Lebensform erzeugt durch vielfäl-
tige Aktivitäten eine fortwährende Ver-
änderung der Welt. Ebenfalls auf Hera
klit geht die Erkenntnis zurück, dass das
einzig Beständige in der Welt der Wandel
ist. Heute scheint der Wandel immer un-
ausweichlicher und der Druck wächst,
mit den laufenden Veränderungen Schritt
zu halten. Das Festhalten an Bestehen-
dem (materiellen Besitztümern, festen
Überzeugungen, präzisen Vorstellungen
und Ideen davon, worauf es im Leben
ankommt) wirkt dabei meist unpassend
und konservativ.
Dass Evolution das Überleben sichert,
gilt nicht nur für den Einzelnen, sondern
auch für Organisationen. Sie müssen sich
nicht über Nacht radikal verändern, doch
langfristige Schritte sind unvermeidbar.
Oft werden selbst diese als unzumutbar
empfunden, denn die Macht der Besitz-
standswahrer ist groß. Sie argumentie-
ren damit, wie stabil und erfolgreich
die Strukturen bisher gewesen seien.
Eine Unternehmerin erzählte mir, wie
schwer es ihr falle, eine mit viel Einsatz,
Hartnäckigkeit und Leidenschaft aufge-
baute Geschäftstätigkeit loszulassen, weil
diese nicht mehr zu den neuen Schwer-
punkten in ihrem Leben passe. Das Herz-
blut, das in das „alte“ Projekt geflossen
sei, mache es schwer, die Sache ein-
fach fallen zu lassen. Das Projekt sollte
jemand anderem übergeben werden,
doch wie jemand Geeigneten finden und
gleichzeitig bis dahin die tägliche Arbeit
organisieren, obwohl sich innerlich etwas
ganz gewaltig dagegen sträubt, das „Alte“
selbst weiterzutreiben und kostbare Zeit
zu investieren?
Was steckt in dem Wort „Loslassen“
genau? Laut Duden bedeutet es in der
deutschen Sprache so viel wie „sich
gehen lassen“ und sogar „die Kon
trolle verlieren“. Der Schweizer Coach
Peter Szabo erklärt, dass Loslassen auf
Schwitzerdütsch „los la“ heiße und zwei
Bedeutungen habe: Einerseits „etwas
loslassen“ im Sinne von „fallen lassen“,
„von etwas ablassen“ beziehungsweise
„den Griff lösen“ und andererseits aber
auch „loslegen“ im Sinne von „Jetzt
geht‘s los!“ und „etwas in Betrieb set-
zen“. Einen sehr schönen Begriff gibt es
in der thailändischen Sprache. Er lautet
„Bleu Waang“. Bleu heißt „lassen“ und
Waang „frei“ oder „leer“. Also ist die Be-
deutung hier mehr „freilassen“ statt los-
lassen – ganz im Sinne von „den geisti-
gen Raum leer machen und leer halten,
um sich dann auf die Stille des Zwischen-
raums zu beziehen“.
Alfried Längle, Präsident der Internatio-
nalen Gesellschaft für Logotherapie und
Existenzanalyse, schreibt in seinem Buch
So klappt es mit dem
Loslassen
TRAINING.
Wie funktioniert eigentlich das Loslassen, das so oft von Therapeuten,
Coachs und Change Managern gefordert wird? Gelingt es einfach so oder muss man dazu
ebenso Kraft aufwenden wie beim Festklammern? Diese Fragen stellte sich unsere
Autorin Christina Geiger und kam zu erstaunlichen Einsichten.