wirtschaft und weiterbildung 1/2017 - page 24

titelthema
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wirtschaft + weiterbildung
01_2017
tet und ihm kurz vor dem „Casting Call“
eine Expertenrolle zugewiesen, von der
sie glaubten, dass sie zu ihm passe. Ziel
des Telefonats war es auch, jeden einzel­
nen Teilnehmer einmal erleben zu lassen,
wie anstrengend es ist, wenn man auf der
Basis einer Expertenrolle eine knackige
Pro- oder Kontra-These zu einem aktu­
ellen Thema entwickelt.
Da das Seminar eine ganz praktische
Seite haben sollte, probten die beiden Se­
minarleiter mit jedem Teilnehmer einen
etwa zehnminütigen „Casting Call“. Die
restlichen Teilnehmer durften zuschauen.
Dieses bewusst gewählte Setting sorgte
für ein paar erstaunliche Lerneffekte.
Schnell bekamen die jeweiligen Beo­
bachter mit, dass nicht nur sie, sondern
auch ihre „Kollegen“ handfeste Probleme
damit haben, sich selbst zu verkaufen,
auf das geliebte Fachchinesisch zu ver­
zichten oder einfach lebendig zu erzäh­
len.
Am Schwierigsten war es für alle, zu­
friedene Kunden namentlich ins Feld
zu führen. „Konkrete Fallbeispiele sind
oft die größte Hürde“, fasst Maass seine
Erfahrungen mit Trainern, Beratern und
Speakern zusammen. Aussagekräftige
Referenzen einzuholen, ist folglich eine
Hausaufgabe, die viele mit nach Hause
nehmen. Die „Casting Calls“ führten
dazu, dass eine Atmosphäre der Offenheit
entstand. Keiner musste mehr Kraft da­
rauf verwenden, die eigenen Schwächen
zu verschleiern. Da viele recht ähnliche
Probleme hatten, arbeitete quasi jeder für
jeden mit, wenn er mit den Seminarlei­
tern über „sein“ Thema sprach. Nachdem
jeder alle „Coaching Calls“ miterlebte,
war klar, dass auf diesem Seminar allein
schon durch beiläufiges Wiederholen ge­
lernt wird.
Eine weitere wichtige Trainingseinheit
bestand darin, dass jeder seine „Ge­
schichte“ aufschreiben sollte wie er
zum Experten wurde, welche Heraus­
forderungen er dabei meisterte und was
er letztlich besonders gut kann. Diese
Übung ist ein Beispiel dafür, wie gut die
Erzählmethode „Storytelling“ (siehe Seite
26) dabei hilft, seinen eigenen Werdegang
und seine aktuelle Positionierung ande­
ren zu erklären. Die beiden Seminarlei­
ter, die es durchgängig geschafft haben,
als gleichberechtigtes Team und als sich
ergänzende Profis aufzutreten, haben die
„Story“ jedes Teilnehmers gelesen und
mit Anmerkungen versehen, so dass auch
diese Übung den Teilnehmern Hinweise
Wie überzeuge ich als Experte im TV-Talk?
Regel 1:
Bleiben Sie bei Ihrer These!
Vertreten Sie in einer Sendung konsequent „Ihre“ These,
wegen der Sie schließlich eingeladen wurden. Von Ihnen
vorgebrachte Relativierungen schwächen Ihre Position in
der Diskussion.
Regel 2:
Vermeiden Sie eine abstrakte Sprache,
Fachbegriffe und Anglizismen!
Experten müssen sich die Mühe machen, insbesondere
alle Fachbegriffe durch verständliche Alltagssprache zu
ersetzen.
Regel 3:
Seien Sie konkret!
Überlegen Sie sich vor dem Auftritt, welche drei Kernbot­
schaften Sie haben. Formulieren Sie diese unbedingt in
Gedanken vor – in bildhafter Sprache.
Regel 4:
Verknüpfen Sie Fakten mit Emotionen!
Fassen Sie Ihre Position so zusammen, dass sie in kür­
zester Zeit jeder versteht. Ist das Thema komplex, überle­
gen Sie einfache Beispiele. Bereiten Sie Fakten emotional
auf und bieten Sie eine Geschichte an.
Regel 5:
Seien Sie eher beiläufig kompetent!
Den besten Auftritt in Talkshows hat, wer nicht vordergrün­
dig gut sein will. Vermeiden Sie den Eindruck des Strebers.
Zeigen Sie Ihre Kompetenz eher beiläufig.
Verhaltensregeln.
Lea und Jochen Maass, Inhaber des Kölner Medienbüros „Maass genau“, haben
ihre Ratschläge zu zehn Regeln verdichtet. Ihr nächstes Seminar „Backstage-Talk: Als Experte ins
Fernsehen“ findet am 5. und 6. Mai 2017 in Köln statt (Einzelheiten bei
Regel 6:
Seien Sie der Debatten-Leader!
Behalten Sie durch überraschende Ausbrüche die Kon­
trolle über die Debatte, sonst macht es jemand anderes.
Grätschen Sie ruhig anderen auch mal rein. Wenn Sie den
Eindruck haben, dass Sie in der Diskussion zu wenig Rede­
anteil bekommen, nehmen Sie sich selbstbewusst das
Wort, aber dies nur dosiert.
Regel 7:
Nutzen Sie Gelegenheiten!
Kein Moderator hat immer nur starke Auftritte. Eine schwa­
che Diskussionsführung kann eine Chance sein, die Diskus­
sion in Ihrem Sinne zu gestalten.
Regel 8:
Auf die Einheit von Inhalt und Wirkung achten!
Mimik und Gestik sollten bei Ihnen immer zum Gesagten
passen. Vermeiden Sie es, sich Notizen zu machen. Mit­
schreiben lässt Sie unsicher und inkompetent wirken.
Regel 9:
Lassen Sie sich nicht provozieren!
Seien Sie darauf gefasst, dass Sie in der Diskussion ange­
griffen werden. Informieren Sie sich über die Mitdisku­
tanten und deren Argumente.
Regel 10:
Bleiben Sie ruhig, aber bestimmt!
Wenn man als Talk-Gast etwas Unangenehmes gefragt
wird, gilt: Ruhe bewahren. Sie müssen nicht alles sagen,
aber alles was Sie sagen, muss der Wahrheit entsprechen.
R
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