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wirtschaft + weiterbildung
01_2017
Nach außen hin fordert die Geschäftsführung einhellig ein iterativ-
flexibles Vorgehen (siehe Kasten rechts). Die Führungskräfte sind
angehalten, nur absehbare Veränderungsversuche anzugehen
und Aussagen zu „garantierten Zielen“ zu vermeiden. Nach jedem
Veränderungsversuch wird der nächste Schritt anhand von zwei
zentralen Faktoren evaluiert: Erstens soll bewertet werden, welche
Akteure im Veränderungsprozess momentan wichtig sind – es geht
dabei nicht um Macht, sondern vielmehr um Einfluss. Die Frage
lautet: Wie haben sich die Einflusspromotoren im Prozess verän-
dert? Der zweite Entscheidungsfaktor ist eine erfahrungsbasierte
Neuinterpretation relevanter Informationen. Von vielen Führungs-
kräften wird das Vorgehen als das Ende ihrer Führungsrolle verstan-
den. Sie sehen sich nicht mehr in einer steuernden Funktion.
Gerade diese Reaktion der Manager wird von der Geschäftsfüh-
rung als Aufbruchsignal begriffen. Entsprechend soll ein neues Ver-
ständnis der Führungsrollen, -inhalte und -haltungen herbeigeführt
werden. Künftig sollen die Führungskräfte beispielsweise vermehrt
· über neue Einflusskräfte und veränderte Informationseinschät-
zungen berichten, statt über erreichte Kennzahlen;
· „Inseln verlässlichen Arbeitens“ schaffen, sodass die Mitarbeiter
Aufgabenpakete störungsfrei abarbeiten können;
· bei Entscheidungen weniger den erhofften Nutzen, als vielmehr
den leistbaren Verlust für das Unternehmen berücksichtigen.
Kurze Austauschrunden unter den Führungskräften helfen bei der
Umsetzung des Vorhabens. Hier werden neuen Aufgabenvertei-
lungen und Herangehensweisen erarbeitet. Durch die Kommuni-
kation dieser „Good Practices“ hält der veränderte Führungsfokus
Einzug in die Unternehmenskultur. Das Ergebnis:
· Digitale Kooperationstools wie Trello, RTM oder Podio werden
genutzt
· Vielfältige Ziele und Wege werden gemeinsam erarbeitet
· Verlässlichkeit wird praktiziert, anstatt Vertrauen einzufordern;
dazu gehört es auch, nur realistische Zusagen zu machen
· Fehler werden als wichtiges Feedback verstanden – „Fehlerpoten-
zial“ gilt damit nicht als Risiko, sondern als Chance
Mit zusätzlichen Werkzeugen und einem neuen Mindset steuern
die Führungskräfte nun einzelne, überschaubare Arbeitspakete.
Zugleich haben sich die zentralen Unterstützungsprozesse auf die
verkürzten Planungshorizonte und die flexibel agierenden Regi-
onen eingestellt — neben dem Marketing gilt das auch für Repor-
ting, Controlling, IT und Personal. Die Führungskräfte stellen nach
innen und außen den gemeinsamen Zweck „Kundennähe“ als
Kernbotschaft heraus. Dieser Zweck ist das zentrale Bewertungs-
kriterium für alle Aktivitäten. Ziele und Maßnahmen werden „auf
Sicht“ angegangen und an neue Gegebenheiten angepasst.
Beim iterativen Change Management werden vier Veränderungs-
themen in mehreren Schleifen bearbeitet: Abbau von Unklarheiten,
Erreichen von Akzeptanz, Erzeugen von Wirksamkeit sowie das
Etablieren von Routinen. Ein Thema gilt als vorerst abgeschlossen,
wenn ein (vorläufig) befriedigendes Ergebnis vorliegt – etwa ein
Strategieentwurf, eine verbesserte Kundenakzeptanz oder ein
störungsfreier Prozess. Die Veränderungsthemen werden dabei in
keiner vorgeschriebenen Reihenfolge bearbeitet. Vielmehr erfor-
dert der Prozess ein regelmäßiges Zurückspringen, Wiederholen
oder auch Überspringen einzelner Themen. Iteratives Change
Management meint also die stetige Annäherung an ein grob defi-
niertes Ziel, wobei das kleinteilige Vorgehen sowohl kurzfristige
Anpassungen als auch einen ständigen Erfahrungsaustausch
verlangt. Damit erklärt sich auch der Begriff: „Iteration“ bedeutet
verändernde Wiederholung.
Ergebnis- und Prozessoffenheit führen zum Abschied von alles
beherrschenden Führungskräften und einseitigen Kontrollme-
chanismen. Ein Verlust ist das nicht, denn bei unvollständiger
Information aller Beteiligten führen Alleingänge eher zur tragischen
Komödie. Führung entsteht also immer weniger qua Hierarchie-
ebene, sondern in der täglichen Praxis der Interaktion zwischen
Führungskräften und Mitarbeitern.
Für das Gestalten von Veränderung sind zwei Elemente der
inneren Einstellung maßgeblich: die Autorität der Führungskraft
als Selbstkonzept sowie ihre Verantwortung, die Interessen aller
Stakeholder zu beachten. Eine Kombination von Autorität und Ver-
antwortung führt in ihrer reifsten Form zum „Shaping Leadership“.
Dabei begibt sich die Führungskraft bewusst und professionell-
vorsichtig in Interaktionen des Experimentierens und Aushandelns,
der Mehrdeutigkeit und Potenziale. Die agil-iterative Organisation
ist das Medium und Ergebnis einer solchen Führungshaltung.
Die Kommunikation des Veränderungsvorhabens gleicht einer
Kampagne. Diese braucht neben einer klaren und möglichst
stabilen Kernbotschaft einen Mix verschiedener Kommunikati-
onskanäle. So können die Verantwortlichen über die Anliegen des
Vorhabens informieren und zugleich einen Dialog eröffnen. Jede
Führungskraft fungiert dabei als „Gesicht der Kampagne“. Da sie
dem Umfeld als Anker der Verlässlichkeit dienen, müssen die Füh-
rungskräfte Anlass, Zweck und Umsetzung der Veränderung glaub-
haft vertreten können. Die Professionalität, mit der die Verantwort-
lichen Unklarheiten ausräumen, Akzeptanz schaffen, Wirksamkeit
erzeugen und Routinen einfordern – die vier Veränderungsthemen
– definieren die Qualität der „Führung im Change“.
R
ein weiteres Nachjustieren. Veränderun-
gen auf der Top-Ebene ziehen eben nicht
nur geplante und beabsichtigte operative
Änderungen nach sich. In komplexen Si-
tuationen geht es immer häufiger auch
um Fragen der Arbeitsorganisation, der
Werkzeuge und der Rolle von Führung.
Wie das Fallbeispiel oben zeigt, sollten
Organisationen stets Erfahrungswerte an
der Basis sammeln – dazu gehören der
Umgang mit Widerstand ebenso wie Ex-
perimente und das Reagieren auf über-
raschende Ereignisse. Mit diesem Selbst-
verständnis verändert sich Kontrolle zum
Feedback, der Plan zum Vorschlag, das
Ziel zum vorläufigen Orientierungspunkt.
Verantwortliche brauchen dazu jedoch
die passenden Instrumente für schnelle
Analysen, für das Design überschaubarer
Arbeitspakete und die Organisation von
Zweck- und Strategiedebatten. Solche
„Tools“ bilden den Grundstock für kolla-
borative Entscheidungen. Entsprechende
Instrumente gibt es für Aspekte der Or-
ganisationskultur, der Führungshaltung
und -kompetenz sowie für die Steuerung
von Change-Vorhaben in komplexen Situ-
ationen (mehr dazu auf changenavigator.
flow.de). So kann Führung in Verände-
rung gelingen – weg vom Feldherrnhügel
hin zum gemeinsamen Experimentieren.
Frank Wippermann
personal- und organisationsentwicklung
Frank
Wippermann
ist geschäftsfüh-
render Gesell-
schafter der Flow
Consulting GmbH. Er ist EFQM-Asses-
sor und Mitglied der European Group
for Organizational Studies (EGOS).
Flow Consulting GmbH
Spörckenstraße 89, 29221 Celle
Tel. 05141 740074
AUTOR
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