wirtschaft und weiterbildung 1/2017 - page 37

wirtschaft + weiterbildung
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deten „konspirativen“ Erklärungen für
Ereignisse. Paranoide Gedanken sind al-
lerdings weit verbreitet und keineswegs
immer pathologisch.
Wie würden Sie paranoide Führungs-
kräfte beschreiben?
Van Quaquebeke:
Sie haben ein ausge-
prägtes Kontrollbedürfnis. Sie kontrollie-
ren die Arbeiten ihrer Mitarbeiter manch-
mal sogar mehrmals, damit ihnen ja nie-
mand etwas anhängen kann. Das sind
keine Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter
befähigen oder ihnen Freiräume geben.
Sie denken in feindlichen und negativen
Szenarien. Und sollte der befürchtete Fall
eintreten, reagieren sie schnell und gehen
zum Beispiel neue Koalitionen ein. Aus
Freund wird Feind, und der Feind meines
Feindes wird mein Freund. Für ihre Absi-
cherung arbeiten solche Führungskräfte
zudem auch sehr viel. Da geht es dann
darum, wie ich jemandem einen Gefallen
tun kann, um mir so seine Loyalität zu
sichern.
Und das macht sie so erfolgreich bei
ihrer Karriere?
Van Quaquebeke:
In unserer Studie haben
wir 441 Angestellte in unterschiedlichen
Bereichen befragt. Sie beantworteten Fra-
gen zu ihrer Position im Unternehmen
und zu der Zahl ihrer Mitarbeiter. Darü-
ber hinaus füllten sie einen Fragebogen
zu paranoiden Vorstellungen aus. Das
Ergebnis zeigte, dass höhere Grundwerte
in paranoiden Gedanken den Aufstieg im
Unternehmen voraussagten und je höher
die paranoide Ausprägung war, desto stei-
ler war der Karriereerfolg.
Was bedeutet das für die Mitarbeiter
eines paranoiden Chefs?
Van Quaquebeke:
Das sind nicht per se
böse Menschen oder ganz schlimme Vor-
gesetzte. Wenn ihre Mitarbeiter ihnen ge-
genüber hohe Loyalität zeigen, sind sie
auch loyal. Anstrengend ist vor allem,
dass ihre Sichtweise so schnell umschla-
gen kann. Sie sprechen auf dem Flur mit
dem Mitarbeiter einer anderen Abteilung
und schon sind Sie plötzlich ein Feind
und ihr Chef ist überzeugt davon, dass
Sie ihn hintergehen wollen. Oder der
Abteilungsleiter einer anderen Abteilung
erwähnt in einem Meeting Ihren Namen.
Und sofort glaubt Ihr Chef: Da läuft etwas
hinter meinem Rücken. Da gibt es ein
ganz starkes Schwarz-Weiß-Denken und
ehe man sich als Mitarbeiter versieht,
wird man vom Freund zum Feind.
Wie kommt man da wieder raus?
Van Quaquebeke:
Das ist deutlich schwe-
rer. Da hilft nur ein Gang nach Canossa
und ihm mit Worten und Taten seine Hy-
perloyalität zu signalisieren, damit er sich
wieder in Sicherheit wähnt. Sie müssen
ständig Loyalitätsbeweise vorlegen und
das macht die Zusammenarbeit mit sol-
chen Chefs so mühsam.
Das ist aber auch stressig ...
Van Quaquebeke:
Ja, auch für die ist es
total anstrengend, denn sie haben kei-
nerlei soziale Sicherheit und die ist nun
mal ein menschliches Grundbedürfnis.
Ihr Stresslevel ist hoch und sie geraten
schnell in die typische Burn-out-Spirale.
Hier sehe ich auch einen Ansatzpunkt,
wo die Personalabteilung diese Füh-
rungskräfte dabei unterstützen könnte,
mehr auf ihre Gesundheit zu achten.
Natürlich hilft auch eine Unternehmens-
kultur, in der man auch Fehler machen
oder Schwäche zeigen kann. Da können
sich auch paranoide Menschen etwas ent-
spannen. Ganz wichtig für sie ist es, dass
sie zumindest im privaten Bereich soziale
Sicherheit haben, also in der Familie oder
beim Partner.
Wäre da nicht eher eine psycho-
therapeutische Behandlung sinnvoll?
Van Quaquebeke:
Das kommt natür-
lich auf die Ausprägung des paranoiden
Denkens an. Allerdings würde ich jedem
raten, in diesem Fall nicht zum Coach,
sondern zu einem ausgebildeten Psycho-
therapeuten zu gehen. Da ist ein norma-
ler Business Coach schnell überfordert.
Paranoide Gedanken kann man man gut
mit kognitiven Psychotherapien angehen.
Laut Ihrer Studie steigen paranoide
Führungskräfte schneller auf. Aber sind
sie auch besser und effektiver?
Van Quaquebeke:
Bei Studien zum
Thema Leadership kann man zwei we-
sentliche Richtungen unterscheiden:
1. „Leader Emergence“ (Wer wird Füh-
rungskraft?). Hier ist meine Studie an-
gesiedelt. Die anderen Studien befassen
sich mit „Leader Effectiveness“ (Was
macht eine Führungskraft effektiv?).
Meine Spekulation geht in die Richtung,
dass Paranoia auch hilft, als Führungs-
kraft effektiver zu sein. Doch dazu gibt
es bisher noch kaum Forschung. Wir
machen daher zusammen mit dem Per-
sonalberater Mercuri Urval ein vierjäh-
riges Forschungsprojekt, bei dem wir
herausfinden wollen, welchen Effekt der
Aufstieg auf Führungskräfte hat. Was pas-
siert, wenn jemand erste Führungsverant-
wortung übernimmt? Welche Wirkung
hat das auf die Persönlichkeit? Wie wirkt
sich das auf seine psychische Gesundheit
aus? Wie verändert sich das Verhalten
durch eine Beförderung? So habe ich in
meiner derzeitigen Studie bereits heraus-
finden können, dass das paranoide Den-
ken durchaus abnimmt, wenn man auf-
gestiegen ist. Das klingt zunächst einmal
paradox, weil dann potenziell auch mehr
Königsmörder lauern. Aber der Aufstieg
ist für den Betroffenen auch eine Bestäti-
gung, dass das Unternehmen ihn schätzt
und das könnte – mindestens kurzfristig
– zu einer Entspannung führen.
Ist paranoides Denken in unserer schnell-
lebigen Zeit nicht sogar notwendig?
Van Quaquebeke:
Das Denken in den
schlimmsten Szenarien ist sicher nicht
generell dumm, schon gar nicht, wenn
man als Führungskraft strategische Ver-
antwortung hat. Denn was passiert, wenn
mein Wettbewerber plötzlich von einem
chinesischen Unternehmen aufgekauft
wird und damit über ein enormes Investi-
tionskapital verfügt?
Eine andere Frage ist, ob die Unterneh-
men sich nicht selbst paranoide Mitarbei-
ter heranziehen. Der psychologische Ver-
trag, bei dem das Unternehmen Leistung
und Loyalität gegen Gehalt und Sicher-
heit tauscht, gilt heute nicht mehr. Und
entgegen vieler Beteuerungen wird heute
immer seltener mit offenen Karten ge-
spielt. Wenn heute jemand glaubt, andere
sägten an seinem Stuhl oder er werde von
seinem Chef nur als Bauernopfer benutzt,
ist das oftmals nicht weit hergeholt. Da
muss man sich durchaus fragen, ob die
Paranoiden in großen Organisationen
manchmal nicht sogar die Realisten sind.
Interview: Bärbel Schwertfeger
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