wirtschaft und weiterbildung 1/2017 - page 23

wirtschaft + weiterbildung
01_2017
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daktion der Talkshow im Vorfeld definiert
werden, wird jeweils ein Experte gesucht.
Er sollte in der Lage sein, aufgrund sei­
ner Überzeugung und seines rhetorischen
Geschicks eine konkrete Pro- oder Kontra-
These zu vertreten – und natürlich muss
er diese eine These dann auch in der Dis­
kussion mit den anwesenden „Gegenspie­
lern“ durchhalten können.
Themen werden mittels Pro-
und Kontra-Schema erörtert
Zwar stehen beim Polit-Talk die Sach­
aussagen im Mittelpunkt, aber aus einer
gepflegten Kontroverse kann auch einmal
ein emotionaler Streit werden – was bei
den Zuschauern durchaus gut ankommt,
solange die Sache nicht in Krawall ausar­
tet. Manchmal lässt es sich der Moderator
oder die Moderatorin nicht nehmen, eine
Debatte durch gezielte Provokationen
zuzuspitzen. Die Experten sollten dann
mitspielen und sich insbesondere nicht
beleidigt aus der Debatte zurückziehen,
nur weil ihnen einmal das Wort entzogen
wurde.
Wer das Fernsehen einschaltet, um den
Kampf zweier Profiboxer zu sehen, der
erwartet nicht, dass sich die beiden
Kontrahenten nach der ersten Runde ge­
meinsam hinknien, um für den Weltfrie­
den zu beten. Genauso wenig erwarten
die Zuschauer eines Polit-Talks, dass die
Befürworter und die Gegner einer Sache
plötzlich anfangen, gemeinsam über
einen Kompromiss nachzudenken. Diese
Art von Talk lebt davon, dass These auf
Gegenthese trifft und der Zuschauer in
die Lage versetzt wird, sich am Ende auf
die eine oder andere Seite zu schlagen.
Die Talk-Dramaturgie sieht vor, dass ein
Thema durch das Aufeinanderprallen ex­
tremer Positionen verdeutlicht wird. Dass
der Moderator am Ende einer Sendung
manchmal einen Appell zur Zusammen­
arbeit der Kontrahenten formuliert, ge­
hört auch zur Dramaturgie.
Dieses „Schwarz-Weiß-Denken“ ist nicht
jedermanns Sache. Die Redaktionen
der „harten“ Talkshows achten deshalb
genau darauf, ob ein potenzieller Gast be­
reit und in der Lage ist, bei dieser Art der
Polarisierung mitzuspielen. Es sollte eine
klare Haltung zu einem Thema haben
und daraus sollte sich eine These ableiten
lassen, die stark genug ist, gegen andere
Thesen zu bestehen. Im Idealfall wird die
These zum Markenzeichen des Gastes
und bildet die Basis für viele TV-Auftritte
und Buchprojekte. Das Instrument, mit
dem die Talkshow-Eignung eines poten­
ziellen Gasts geprüft wird, heißt „Casting
Call“, ein Anruf, der in der Regel den „Ex­
perten“ unvorbereitet trifft und zwischen
Tür und Angel stattfindet.
Wenn zum Beispiel Experten zum Thema
„Braucht Deutschland bessere Führungs­
kräfte“ gesucht würden, dann würde die
Redaktion in ihrem Netzwerk oder im
Internet nach Fachleuten zum Thema
Personalführung suchen. Einige würden
dann telefonisch kontaktiert werden. Bei
diesem Telefonat ginge es nicht so sehr
um das Fachwissen (über das hätte man
sich schon anderweitig informiert), son­
dern darum, die Angerufenen auf ihre
Brauchbarkeit für harte Talkshows hin zu
testen.
Der „Casting Call“ entscheidet
über Auftrittschancen
Vom Angerufenen würde ziemlich schnell
erwartet, das er sich auf eine Meinung
festlegt. Entweder er sagt „Ja, wir brau­
chen bessere Führungskräfte“ oder er sagt
„Nein, brauchen wir nicht“. Als Nächstes
müsste dann vom TV-Redakteur heraus­
gefunden werden, ob die festgelegte Rolle
auch konsequent durchgehalten werden
kann. Dabei sollte der Gesprächspartner
authentisch wirken und eine entspre­
chende Haltung zeigen.
„Was wäre ein konkreter Rat,
den Sie geben könnten?“
Der Redakteur der Talkshow könnte im
„Casting Call“ beispielsweise folgende
Fragen stellen:
• Können Sie kurz beschreiben, was Sie
beruflich machen?
• Können Sie konkrete Beispiele nennen?
In welchen bekannten Unternehmen
kennen Sie die Führungskultur?
• Schauen wir uns doch mal den X-Kon­
zern an. Würden Sie sagen, dort wird
vorbildlich geführt? Wenn nein, was
sollte dort verändert werden?
• Was wäre ein konkreter Rat, den Sie
Führungskräften des X-Konzerns geben
würden?
• Warum klappt das so selten, dass Un­
ternehmen Ratschläge zur besseren
Führung umsetzen? Klappt das in an­
deren Ländern besser?
• Hätte man früher schon etwas tun müs­
sen, um die aktuellen Probleme zu ver­
hindern?
• Wer hat die Fehler gemacht?
• Sagen Sie doch in einem Satz: Wie
würden Sie die Führungskultur in deut­
schen Unternehmen verändern?
• Klingt alles ganz gut, ich verstehe es
aber noch nicht ganz, was Sie konkret
empfehlen ...
• Sollten deutsche Unternehmen nach
Ihrer Meinung mehr Trumps oder mehr
Clintons einstellen?
Mit diesen und ähnlichen Fragen wird
recht sicher herausgefunden, ob jemand
mit beiden Füßen im Alltag steht oder
lieber auf einer Wolke schwebt und zum
unverbindlichen Philosophieren neigt.
Wichtig ist auch, dass der potenzielle
Gast komplizierte Zusammenhänge in
einer verständlichen Sprache erklären
kann. Im Idealfall ist er auch noch sym­
pathisch, verfügt neben seinem Fachwis­
sen über Humor und kann ein Statement
auf eine Pointe hin zuspitzen.
Lea und Jochen Maass, die beiden Semi­
narleiter, hatten sich durch eine Internet­
recherche auf jeden Teilnehmer vorbereiR
Jochen und Lea Maass.
Zusammen sind
sie das „Maass genau“-Medienbüro.
Foto: Martin Pichler
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