training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
05_2017
den fachlichen Leistungen auserkoren.
Verkehrt ist das nicht. Denn Projektleiter
müssen auch technische Details verste-
hen und die Richtigkeit sowie Qualität
von Projektergebnissen prüfen können.
Häufig wird jedoch vergessen: Projektlei-
ter benötigen mehr als nur Fach-Know-
how. Im Idealfall füllen sie vier Rollen
aus:
Erste Rolle:
der Fachmann
Die fachlichen Anforderungen erfüllen
die meisten Projektleiter. Sie sind in der
Lage, technische sowie fachliche Details
zu verstehen, zu bewerten oder auch
selbst auszuarbeiten. Diese Feldkompe-
tenz und Branchenkenntnis erleichtert
einem Projektleiter die tägliche Arbeit
enorm, da er Zusammenhänge schneller
durchdringt als ein „Fachfremder“.
Zweite Rolle:
der Manager
Ein Projektleiter braucht auch methodi-
sches Know-how. Genauer gesagt: Pro-
jektmanagementkompetenz. Deshalb
schicken Unternehmen frischgebackene
Projektleiter oft zu Projektmanagement-
weiterbildungen. Dies sind entweder
interne Schulungen oder zertifizierte
Seminare bei externen Dienstleistern.
Die Projektleiter lernen dort das Instru-
mentarium zum Planen und Steuern von
Projekten kennen. Unerlässlich ist das Be-
herrschen von Methoden, unter anderem
für folgende Aufgaben: Ziel und Auftrag
klären, Projektstrukturplan entwerfen,
Aufwand schätzen, Terminplan erstellen,
Ressourcen planen, Kosten kalkulieren
und Risiko managen.
Dritte Rolle:
die Führungskraft
Projektleiter sind Führungskräfte. Die
Praxis zeigt jedoch: Gerade den „wei-
chen“ Themen wird in den Weiterbil-
dungen wenig Beachtung geschenkt. Der
Fokus liegt in ihnen in der Regel auf der
Fach- und Methodenkompetenz. Ein Pro-
jektleiter muss aber auch ein Team füh-
ren. Der Umgang mit den verschiedenen
Stakeholdern eines Projekts erfordert au-
ßerdem ein hohes Maß an sozialer Kom-
petenz. Das wird in vielen Unternehmen
nicht ausreichend berücksichtigt. Häufig
wird dabei nach der Maxime verfahren:
„Das lernt ‚der Müller’ (oder ‚die Mayer’)
mit der Zeit schon von selbst.“ Doch
diese (Lern-)Zeit kostet Geld, gerade in
Projekten. Denn Projektleiter stehen beim
Wahrnehmen ihrer Aufgaben vor vielen
komplexen Fragen sowie Herausforde-
rungen, für die sie zumindest Lösungsan-
sätze brauchen. Einige seien beispielhaft
genannt:
Projektteam:
• Wie besetze ich mein Projektteam so,
dass sich die Fähigkeiten der Mitarbei-
ter optimal ergänzen?
• Welche Phasen durchläuft ein neu for-
miertes Team, bevor es ein echtes Team
bildet, und worauf muss ich in diesem
Prozess als Führungskraft achten?
Stakeholder:
• Welche Stakeholder gibt es? Wie ste-
hen diese zu dem Projekt und welche
Handlungsstrategien sollte ich indivi-
duell anwenden?
• Wie gehe ich mit Widerständen von
Mitarbeitern oder Kollegen um, die von
den Auswirkungen des Projekts betrof-
fen sind?
Konflikte:
• Wie erkenne ich sich anbahnende Kon-
flikte, aus denen Probleme erwachsen
könnten, bereits in einer frühen Phase,
sodass ein präventives Eingreifen mög-
lich ist?
• Welche Handlungsoptionen habe ich,
wenn ein Konflikt eskaliert?
Martin Müller arbeitet in der Abteilung
Forschung und Entwicklung eines mit-
telständischen Automobilzulieferers.
Nachdem er fünf Jahre als Konstrukteur
für das Unternehmen tätig war, bot ihm
der Bereichsleiter eine neue Aufgabe an
– wegen seiner hervorragenden fachli-
chen Leistungen. Herr Müller könne ein
Entwicklungsprojekt für einen führenden
deutschen Automobilhersteller leiten. Der
Diplom-Ingenieur nahm das Angebot an
und startete hoch motiviert in das neue
Aufgabenfeld. Doch bereits nach weni-
gen Wochen stellte er ernüchtert fest: Ein
Projekt zu leiten, erfordert nicht nur eine
neue Arbeitsweise. Es verlangt von mir
auch Fähigkeiten, die ich noch gar nicht
habe.
Ähnliche Geschichten erzählen Projekt-
leiter immer wieder, wenn man sie nach
ihrem Werdegang fragt. Projektleiter
werden oft aufgrund ihrer hervorragen-
Multitalent Projektleiter
PROJEKTMANAGEMENT.
Beim Ernennen von Projektleitern achten Unternehmen meist
nur auf die fachliche Kompetenz der Kandidaten. Sie übersehen oft, dass ein Projektleiter
noch viele andere Fähigkeiten und Fertigkeiten braucht, um ein anspruchsvolles Projekt
zum Erfolg zu führen.
Dr. Georg Kraus
ist geschäftsfüh-
render Gesell-
schaf ter
der
Unternehmensbe-
ratung Dr. Kraus & Partner in Bruch-
sal bei Karlsruhe. Er ist unter anderem
auch Lehrbeauftragter an der Univer-
sität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-Pro-
vence, der St. Galler Business-School
in St. Gallen und der technischen Uni-
versität Clausthal.
Dr. Kraus & Partner
Werner-von-Siemens-Str. 2-6
76646 Bruchsal
Tel. 07251 989034
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