WIRTSCHAFT UND WEITERBILDUNG 5/2017 - page 39

wirtschaft + weiterbildung
05_2017
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Foto: Mannheim Business School
Präsenzprogramme ersetzen?
Im Klassenzimmer hat der Professor alle
Teilnehmer im Blick und kann persönlich
auf sie eingehen. Wie soll das online
funktionieren?
Grundsätzlich gibt es technisch schon
viele Möglichkeiten. Aber ob ein Dozent
wirklich in gleicher Weise wie beim Prä-
senzunterricht erkennt, ob das Lerntempo
angemessen ist, die Inhalte verstanden
wurden oder ob es Klärungsbedarf gibt,
halte ich für fraglich. Und die Integration
von Gruppenarbeit, die bei uns inklusive
anschließender Präsentationen und Dis-
kussionen zentraler Bestandteil unserer
Lehrveranstaltungen ist, ist meines Erach-
tens kaum darstellbar. Ganz davon abge-
sehen, würde ich als Lehrender die vielen
spannenden Gespräche vor und nach den
Veranstaltungen sowie in der Kaffeepause
vermissen, in denen ich wichtige Impulse
für meine Arbeit erhalte.
Wo sehen Sie die künftigen
Entwicklungen im Online-Bereich?
Welche technologischen Entwicklungen
werden eine Rolle spielen?
Die digitale Transformation hat auch tief-
greifende Auswirkungen auf die Business
Schools. Das betrifft die Lehrinhalte in
nahezu allen Management-Disziplinen
ebenso wie die Art der Wissensvermitt-
lung oder die technische Infrastruktur.
Daher haben wir beispielsweise bei der
Ausstattung unseres neuen Hörsaalkom-
plexes eng mit Branchenführern wie SAP
und Microsoft kooperiert, um mit einer
völlig neuen Art der Didaktik die Digita-
lisierung für unsere Teilnehmer erlebbar
zu machen. So wird es möglich sein, in
der Lehrveranstaltung „From Data to In-
sights“ mithilfe von SAP-Produkten direkt
mit Big Data zu arbeiten. Daneben sehen
wir in der Lehre eine Menge Entwick-
lungspotenzial in Bereichen wie Augmen-
ted Reality oder Gamification und arbei-
ten hier auch bereits an Konzepten.
Ihre Prognose: Wie wird der MBA-Markt
in zehn Jahren aussehen? Werden die
Online-MBAs dominieren?
Wir haben vor einigen Jahren eine Studie
durchgeführt, die zu dem Ergebnis kam,
dass die große Mehrheit der Befragten an
Präsenzprogrammen interessiert ist. Nach
meinen Beobachtungen hat sich dies in
den vergangenen Jahren nicht signifikant
verändert. Daher gehe ich davon aus,
dass Programme, die vorwiegend Präsenz
erfordern, auch in zehn Jahren dominie-
ren werden.
Beim MBA spielt das Lernen der Teilneh-
mer voneinander eine wichtige Rolle.
Wie gut funktioniert das online?
Ich erinnere mich dabei gerne an die Ab-
schiedsrede des Kurssprechers unseres
zweiten MBA-Jahrgangs im Jahr 2004. Er
sagte sinngemäß: „Ich kann jede Menge
Bücher über die Sixtinische Kapelle lesen,
mir Bildbände und Filme ansehen. Aber
nichts kann die Sinneseindrücke bei
einem Besuch dieses Bauwerks ersetzen.“
Diese Worte übertrug er auf seine MBA-
Erfahrung und kam zu dem Schluss, dass
es für alle ungemein bereichernd war,
über kulturelle oder fachliche Grenzen
hinweg miteinander und voneinander zu
lernen. Ich bin der Überzeugung, dass
dies in einem reinen Online-Programm
nicht in der gleichen Qualität darstellbar
ist.
Lassen sich persönliche Kontakte
wirklich durch Online-Kommunikation
ersetzen?
Meines Erachtens ist das nicht möglich.
Jeder kennt zum Beispiel den Fall, in dem
man eine Person schon lange durch Te-
lefon- oder E-Mail-Konversationen kennt,
aber beim ersten persönlichen Zusam-
mentreffen nochmals einen vollkommen
neuen, mitunter anderen Eindruck vom
Gegenüber erhält. In unseren Program-
men legen wir großen Wert auf das Ler-
nen von- und miteinander; es ist sogar
ein Grundpfeiler unseres pädagogischen
Konzepts. Ich bin der festen Überzeu-
gung, dass eine Präsenzgruppe sich an-
ders organisiert und Konflikte auf eine
andere Weise austrägt als ein rein virtu-
elles Team. Aber ich halte gerade diese
Erfahrungen für einen wichtigen Teil
eines MBA-Programms. Das wird auch
immer wieder in Gesprächen mit unseren
Alumni deutlich.
Kontra
Prof. Dr. Jens Wüstemann.
Präsident der
Mannheim Business School
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