WIRTSCHAFT UND WEITERBILDUNG 6/2017 - page 21

wirtschaft + weiterbildung
06_2017
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Denkanstöße, um mit Komplexität klar zu kommen
Da die Welt komplex und unberechenbar geworden ist,
können die „Entscheider“ im Business nicht mehr von
einfachen Ursache-Wirkungs-Beziehungen ausgehen. Es
gibt keinen Algorithmus, der die beste Entscheidung vor-
gibt. Alternativen zur Zweckrationalität sehen für James G.
March so aus:
· Man sucht in bestimmten Situationen nicht nach optima-
len Lösungen, sondern nur nach befriedigenden Lösungen.
Faktisch wird die erstbeste Lösung genommen. Oft fehlen
genügend entscheidungsrelevante Kausalbeziehungen.
James G. March.
Der Stanford-Professor empfiehlt, die Orientierung an der Zweckrationalität bis
auf wenige Ausnahmen aufzugeben und Raum für Experimente, Erprobungen und Explorationen zu
schaffen. Diese „Verspieltheit“ (March) widerspricht allen Vorstellungen von rationalem Verhalten,
aber sie kann zu Innovationen führen, die sich sonst nie hätten planen lassen.
Stefan Kühl.
Der Organisationssoziologe sucht nach
Wegen, March für Unternehmen nutzbar zu machen.
· Man legt sich nicht mehr auf einen bestimmten Zweck
fest. Ein konkretes Ziel, das einer Organisation vorgege-
ben wird, verhindert einen wachen Rundumblick. Die Alter-
native heißt Zweck-Opportunismus: Der bessere Zweck ist
der Feind des guten Zwecks.
· Man legt sich als Organisation Fettpolster zu (zum Bei-
spiel Redundanzen in den Prozessen). Dies geschieht in
der Hoffnung, dass man dadurch Reserven für den Fall
hat, dass plötzlich neue Anforderungen an die Organisa-
tion herangetragen werden. Anders ausgedrückt: Orga-
nisationen riskieren bewusst eine „verschwenderische“
Gestaltung von Arbeits- und Entscheidungsprozessen, um
so über Möglichkeiten zu verfügen, mit zukünftigen Proble-
men flexibler zurechtzukommen.
Wie sich Problem und Lösung finden
· Man findet sich damit ab, dass der Zufall eine große Rolle
spielt, wenn in der VUCA-Welt entschieden werden muss.
Das „Mülleimer-Modell“ von March geht davon aus, dass
Leute, die ein Problem plagt, und Leute, die Lösungen
haben, sich in den Meetings wie auf einem Basar begeg-
nen und aushandeln, welche Lösung zu welchem Problem
passt. Dabei kann man beobachten, dass oft zuerst die
Lösung (Kompetenz) da ist und erst später ein geeignetes
Problem auftaucht. Man sucht keine Ressourcen, um ein
Problem zu lösen, sondern die Ressourcen „lagern sich an
die Probleme an“.
Martin Pichler
Foto: Pichler
erwogen und die positiven und negativen
Effekte aller Alternativen ausführlich ge-
prüft würden. Dafür reiche aber die Ener­
gie in Organisationen in den seltensten
Fällen aus. Stattdessen werde in einem
Prozess des „Satisficing“ die erste beste
Entscheidungsalternative ausgewählt.
Statt im Heuhaufen nach der spitzesten
Nadel zu suchen, werde die genommen,
die ausreichend für das Nähen sei. March
hat herausgearbeitet, dass es sehr wohl
funktional sei, dass sich Organisations-
mitglieder nie völlig auf eindeutige Ziel-
setzungen, präzise Ideologien und Zwe-
cke festlegen ließen. Ein klar definiertes
Ziel helfe zwar, die Mitarbeiter auf eine
gemeinsame Marschrichtung festzulegen,
schränke aber den Horizont der Mitarbei-
ter ein. Sie mache die Menschen enger
und dümmer und erschwere kurzfristige
Umorientierungen im Veränderungspro-
zess. In der Praxis sei es deswegen sehr
wohl sinnvoll, dass Zweckopportunismus
herrsche.
Entscheidungen in Organisationen wer-
den laut March üblicherweise nach dem
„Mülleimer-Prinzip“ getroffen. Man
könne nicht davon ausgehen, dass beim
Auftreten eines Problems die zuständi-
gen Akteure die Probleme genau identi-
fizierten und dafür geeignete Lösungen
suchten. March hat zusammen mit sei-
nen Co-Autoren Michael Cohen und
Johan Olsen herausgearbeitet, dass man
sich Entscheidungsprozesse als „Müllei-
mer“ denken müsse. So wie sich in einem
Mülleimer der Müll rein zufällig aneinan-
der anlagere, so fänden in einem Unter-
nehmen Probleme, Lösungen und Ak-
R
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