WIRTSCHAFT UND WEITERBILDUNG 6/2017 - page 18

titelthema
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wirtschaft + weiterbildung
06_2017
die Konkurrenz kann billiger geworden
sein oder die potenziellen Kunden halten
sich mit Investitionen zurück, weil eine
Konjunkturkrise droht.
3. Individuelles Handeln.
Einzelne Organi-
sationsmitglieder verändern ihr Handeln.
In unserem Beispiel könnten Außen-
dienstler versuchen, durch intensiveres
Klinkenputzen an die gewünschte Zahl
von Terminen zu kommen.
4. Organisationales Handeln.
Die Außen-
dienstler erfahren beim Kunden, warum
das Interesse an den Produkten oder
Dienstleistungen des Unternehmens er-
lahmt ist. Sie machen Verbesserungs-
vorschläge und sagen zum Beispiel der
Abteilung Produktentwicklung oder der
Buchhaltung, was sie aus Sicht der Kun-
den falsch machen. Das gesamte Unter-
nehmen unternimmt Schritte, um seine
Kultur in Richtung einer verbesserten
Kundenorientierung zu entwickeln. Die
Ergebnisse werden beobachtet und nach
einer Weile beginnt dann der Lernprozess
von vorn.
March nutzt dieses einfache Modell auch,
um zu zeigen, was beim Lernen in einem
Unternehmen oder einer Organisation
schiefgehen kann.
Lernen unter Mehrdeutigkeit.
Der erste
Fallstrick lauert beim Übergang von der
Beobachtung zur Interpretation der Beo-
bachtung. Was man sieht, ist mehrdeu-
tig. Oft bleibt unklar, warum etwas ge-
schehen ist und ob das Geschehene gut
oder schlecht ist. Je positiver Mitarbeiter
gegenüber ihrem Arbeitgeber eingestellt
sind, desto größer ist laut March ihre Nei-
gung, das Beobachtete positiv zu inter-
pretieren. Menschen, die grundsätzlich
unzufrieden mit ihrem Arbeitgeber sind,
behalten oft ihre Interpretationen für sich
oder äußern eher Missfallen. Und viele
werden sich der Ansicht firmeninterner
Meinungsführer blind anschließen.
Individuen lernen nicht.
Wenn ein Einzel-
ner aus den Interpretationen etwas lernen
soll, dann ist es nicht ungewöhnlich, dass
überhaupt kein Lernen stattfindet, weil
der Betroffene so in seiner Rolle fixiert ist,
04.
... es gibt
Aberglauben.
Ursachen einer Wirkung
werden willkürlich behauptet.
05.
... es gibt ein
Lernen aus
zweiter Hand.
Angepriesenen
Vorbildern wir blind gefolgt.
06.
... es gibt ein zu teures Lernen.
Keiner berücksichtigt, was
Herumexperiemtieren kostet.
R
„Es ist besser, einen Menschen zum
Nachdenken zu bringen, als ihm Rat-
schläge zu geben.“ Diese Einsicht ver-
danken wir James G. March (89), einem
ehemaligen Management-Professor in
Stanford. Er gilt als Pionier der verhal-
tenswissenschaftlichen Entscheidungs-
theorie („behavioral theory of the firm“)
und wurde vor allem dadurch berühmt,
dass er mit Nachdruck bestritt, dass in
Unternehmen überwiegend „rationale“
Entscheidungen getroffen würden.
Gerade wurde sein aus dem Jahr 2010
stammendes Buch „The ambiguities of
Experience“ bei Carl Auer auf Deutsch
veröffentlicht („Zwei Seiten der Erfah-
rung – wie Organisationen intelligenter
werden können“). Aus diesem Anlass
wurde auch ein Kongress veranstaltet, der
mit den Keynote Speakern Prof. Dr. Alfred
Kieser, Organisationsforscher und Profes-
sor Emeritus der Universität Mannheim,
und Prof. Dr. Stefan Kühl, Professor für
Organisationssoziologie an der Universi-
tät Bielefeld, aufwartete.
Während Kieser Marchs Lerntheorie er-
klärte, fasste Kühl dessen Entscheidungs-
theorie zusammen. Kieser stellte zu Be-
ginn einen „Lernzirkel“ vor, der aus vier
Elementen besteht und zeigte, wie March
sich individuelles und organisatorisches
Lernen vorstellt:
1. Beobachtung.
In einem Unternehmen
werden Ereignisse beobachtet (Ergeb-
nisse von früher eingeleiteten Maßnah-
men). Zum Beispiel wird anhand der
Außendienstberichte erfasst, dass die An-
zahl der Besuchstermine bei potenziellen
Neukunden abnimmt.
2. Interpretation.
Die Beobachtung wird
interpretiert – wobei es in der Regel an
Eindeutigkeit mangelt. Der Außendienst
kann seine Motivation verloren haben,
Alfred Kieser.
Der Professor Emeritus der Universität Manheim und Gastprofessor
der Universität Witten/Herdecke verehrt James G. March als brillanten Kritiker
der Mainstream-Betriebswirtschaftslehre.
Foto: Pichler
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