WIRTSCHAFT UND WEITERBILDUNG 6/2017 - page 19

wirtschaft + weiterbildung
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dass er keine Veränderungsspielräume
sieht. Oft neigen Menschen dazu, Erfolge
ihrem „Genie“ zuzuschreiben, dann fin-
det auch kein Lernen statt. Außerdem
glauben die Menschen tendenziell, dass
ein positives Ereignis sich ohnehin wie-
derholen wird, während die Wiederein-
trittswahrscheinlichkeit eines negativen
Ereignisses unterschätzt wird.
Organisationen lernen nicht.
Individuen
lernen zwar, können aber andere in ihrer
Organisation nicht davon überzeugen,
sich ihre Einsichten zu Herzen zu neh-
men und sich (ebenfalls) besser an die
Umwelt anzupassen. Mitarbeiter schla-
gen zum Beispiel etwas vor, was die Kol-
legen oder andere Abteilungen besser
machen sollten. Dass die gut gemeinten
Impulse von „Abteilungsfremden“ in der
„kritisierten“ Abteilung keine Resonanz
finden, leuchtet ein. Marchs Rat: Eine
firmeninterne Vereinbarung darüber, in
welcher Form man sich gegenseitig auf
Fehler aufmerksam machen darf, erhöht
organisationale Lernerfolge.
Organisationen und Individuen lernen das
Falsche.
Letztlich beobachtete March
auch noch, dass Unternehmen etwas völ-
lig Nebensächliches ändern und dabei
behaupten, sie hätten gelernt, wie man
ein Problem beseitigt. Oft zu beobachten
ist in diesem Zusammenhang, dass zwei
zufällig zum gleichen Zeitpunkt stattfin-
dende Ereignisse in einen ursächlichen
Zusammenhang gebracht werden. Das
Fixum der Verkäufer wird erhöht und
zeitgleich steigt der Umsatz. An einen
Zusammenhang zu glauben, ist laut
March reiner Aberglaube („superstitious
learning“). Der steigende Umsatz könnte
auch etwas mit einem Anstieg des allge-
meinen Gehaltsniveaus, mit sinkenden
Zinsen oder mit dem Wegfall eines Kon-
kurrenten zu tun haben.
Wenn sich Märkte verändern, haben Un-
ternehmen nach March zwei Möglich-
keiten, um wettbewerbsfähig zu bleiben:
Sie können ihre Stärken ausbauen und
das Bestehende verfeinern („exploita-
tion“). Die Gefahr dabei ist, dass viel-
versprechende neue Gelegenheiten ver-
passt werden und man den Anschluss an
den technischen Fortschritt verliert. Die
zweite Möglichkeit besteht darin, gezielt
Neues zu erproben und viel ins Blaue hi-
nein zu experimentieren („exploration“).
Man läuft dabei Gefahr, viel Geld zu ver-
pulvern und wenig Nutzen zu ernten.
Altes verbessern oder auf
Neues umschwenken?
Beide Optionen bieten unterschiedliche
Arten von Erfolgschancen. Verfeinern
verspricht in der Regel schnelle und si-
chere Erfolge. Deshalb wird laut Kieser
das Dilemma „Exploration versus Exploi-
tation“ in den Unternehmen tendenziell
eher zugunsten der Exploitation gelöst.
Der Professor plädiert aber mit Bezug auf
March für ein Ausbalancieren der beiden
Prinzipien. Ohne jedes Experimentieren
werde die Chance vertan, Potenziale in
anderen Bereichen zu erkennen, die für
das Überleben in der Zukunft wichtig
sein könnten.
Nur durch die Suche nach Neuem könne
man lernen, wo künftig die Erfolgspoten-
ziale lägen. Diese Suche müsse begleitet
werden von der systematischen Ermitt-
lung der kausalen Gründe, warum ein
Experiment gelang oder warum es nicht
gelang.
Wie man das Experimentieren zu gestal-
ten habe, darüber hat sich March viele
Gedanken gemacht. So rät er, man solle
Versuchsballons eher selten starten, dafür
aber richtig große Ballons in die Luft las-
sen. Viele kleine Veränderungen, die auch
noch gleichzeitig angestoßen würden,
führten dazu, dass hinterher keiner mehr
sagen könne, was welche Wirkung er-
zeugt habe. Unklare Kausalbeziehungen
endeten nur in einer Sackgasse. Nur bei
einer großen Änderung könne man auch
ganz deutlich sehen, welche Wirkung sie
habe.
Eine Abkürzung zum Erfolg (ohne müh-
sames Optimieren der eigenen Stärken
und ohne teures Experimentieren mit
Neuem) hatte March auch schon im
Blickfeld. Es ist das „Lernen aus zweiter
Hand“. Er hat schon früh darauf hinge-
wiesen, dass es keinen Sinn macht, die
Erfolgsstrategien anderer Unternehmen
zu kopieren – selbst wenn sie von Best-
sellerautoren zu praxisnahen Kochre-
zepten zusammengefasst worden sein
sollten. Viele Vorzeigeunternehmen hät-
ten phasenweise sehr riskant gehandelt,
um schnelle Erfolge herbeizuzwingen.
Dass das gut gegangen ist, hat viel mit
Glück und weniger mit einer brauchbaren
Strategie zu tun. Außerdem würde in Er-
R
James Gardner March.
Zu Ehren des 1928 geborenen US-amerika-
nischen Organisationstheoretikers erschien 2016 sein wichtigstes
Buch „Ambiguities of Experience“ bei Carl Auer auf Deutsch.
Foto: Stanford University
Übersetzung.
Der Carl-Auer-Titel
verspricht intelligentere
Organisationen.
Original.
Im Jahr 2010 veröffentli-
chte March seine Gedanken zum
Erfahrungslernen in den USA.
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