Wirtschaft und Weiterbildung 7-8/2017 - page 30

personal- und organisationsentwicklung
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wirtschaft + weiterbildung
07/08_2017
Teilnehmerinnen betreut, hatte etwa zu
Beginn vermutet, die Coachees wür-
den ständig Seminare buchen. Doch sie
hätten die Weiterbildungen bisher sehr
zielgerichtet und eigenverantwortlich ge-
bucht gewählt. „Das sollte Personalern
Mut machen: Hier entsteht kein Selbst-
bedienungsladen, sondern es wird wert-
geschätzt, dass man eine Weiterbildung
bekommt“, lautet die Halbzeitbilanz des
Coachs. Die Coachees könnten sehr gut
selbst entscheiden, was sie brauchen.
Warum der „Run“ auf die Gratisseminare
ausgeblieben ist, erklärten die Teilnehmer
zum einen damit, dass neben Vollzeit-
job und Familie wenig Zeit für Seminare
bleibt: „Zuerst dachte ich, ich buche den
Katalog hoch und runter – habe dann
aber festgestellt, dass es für mich sehr
viel hilfreicher ist, einfach den Coach
anzurufen.“ Bis zum Seminar dauere es
hingegen drei Monate, begründete ein
Teilnehmer aus einem IT-Unternehmen
seine sparsamen Seminarbuchungen.
Hinzu kommt: Da in Branchen wie der
IT Fachwissen eine kurze Halbwertszeit
hat, sind auch Seminarinhalte mitunter
schnell nicht mehr aktuell.
Der Lego-Serious-Play-Workshop am
Nachmittag – bei dem die Teilnehmer
möglichst intuitiv aus Legosteinen ihre
momentane Situation, ihre Erfahrun-
gen des vergangenen Jahrs und ihre Er-
wartungen für die Zukunft nachbauten
– komplettierten die Eindrücke des Vor-
mittags: Die „Wissenstürmchen“, die die
Teilnehmer zusammensetzten, symboli-
sierten ihren Wissens- und Kompetenzge-
winn im vergangenen Jahr. Dabei stellten
viele die Seminare als Wissensfundament
dar, auf dem das Coaching aufbaut und
hilft, den Praxistransfer zu schaffen.
Personalentwicklung künftig
schneller takten?
Die Erfahrungen der Teilnehmer lassen
zwar keine repräsentativen Prognosen
über die Zukunft der Weiterbildung zu.
Aber sie werfen ein Schlaglicht auf ak-
tuelle Themen der Arbeitswelt und die
Rolle, die die Weiterbildung darin spielt
und spielen sollte. Zum einen zeigen die
Zwischenfazits, dass sich in vielen Bran-
chen wie der IT und in schnell wachsen-
den Unternehmen, in denen sich auch die
Ansprüche an Know-how und Kompeten-
zen der Mitarbeiter schnell ändern, auch
eine schneller getaktete Personalentwick-
lung gefordert ist. Wer sich in kurzer Zeit
neues Wissen draufschaffen muss, kann
nicht ein halbes Jahr auf ein passendes
Seminar warten.
Zum anderen spiegelt das Feedback der
Teilnehmer, welchen großen Wert für sie
die Vertiefung von Seminarinhalten und
die Persönlichkeitsentwicklung mit dem
Coach haben. Doch bislang bekommen in
der Praxis meist nicht Mitarbeiter in Über-
gangssituationen Coachings, sondern nur
Top-Manager. Und auch beim Lerntrans-
fer und der langfristigen Wissenssiche-
rung tun deutsche Personalentwickler
noch zu wenig dafür, den Praxistransfer
von Weiterbildung zu sichern und den
Lernprozess zu evaluieren, wie etwa die
großangelegten Cranet-Studie 2016 ergab.
Die Kommentare der Teilnehmer verraten
auch, dass ihre persönliche Situation für
sie eine bedeutendere Rolle spielt als ihr
in der herkömmlichen Personalentwick-
lung eingeräumt wird: Viele beklagten
etwa, dass Job und Familie nur schwer
unter einen Hut zu bekommen sind.
Zwar gibt es Ansätze wie eine lebenspha-
senorientierte Personalentwicklung; und
vor Kurzem zeigte der Fortschrittsindex
2017 des Bundesfamilienministeriums,
dass die Arbeitswelt in Deutschland im
vergangenen Jahrzehnt familienfreundli-
cher geworden ist. Doch vielerorts ist die
private Situation der Mitarbeiter bislang
kein Thema.
Die bisherigen Ergebnisse können Perso-
nalentwickler auch darin bestärken, ihren
Mitarbeitern bei der Auswahl von Weiter-
bildungen mehr zu vertrauen: Die Teil-
nehmer zeigen Eigenverantwortung beim
Organisieren und Koordinieren des Lern-
prozesses. Auch für die anderen Beteilig-
ten bedeutet das Projekt einen Lernpro-
zess. Eine Personalerin berichtete, dass
sie das Projekt auch als Experiment für
ihre eigene Personalentwicklung versteht
(mehr lesen Sie im Interview rechts). Und
nicht zuletzt hofft auch der Initiator, die
Haufe Akademie, durch „S-mile“ mehr
darüber zu erfahren, wie ihre Kunden ler-
nen und sich langfristig entwickeln – und
wohl auch, welche Formate und Inhalte
künftig gefragt sind. Spannend bleibt die
Frage, wie Weiterbildungsanbieter auf die
Ergebnisse des Experiments reagieren,
sollte sich am Ende herausstellen, dass
die Teilnehmer am meisten vom Coa-
ching profitiert haben. Ob dann bald Flat-
rate-Coaching auf den Markt kommt oder
ganz neue Seminarkonzepte? Oder nut-
zen die Lerner das erste Jahr zur Orientie-
rung, um im zweiten Jahr mit konkreten
Seminaren darauf aufzubauen? Und ob
der Ansatz die Entwicklung der Teilneh-
mer langfristig verändert? Der Projektab-
schluss 2018 und die darauf folgenden
Kataloge der Anbieter werden es zeigen.
Andrea Sattler
R
Heterogene Gruppe.
Unter den Teilnehmern sind auch Geflüchtete, die das
„S-mile“-Projekt nutzen, um in den deutschen Arbeitsmarkt einzusteigen.
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