Wirtschaft und Weiterbildung 7-8/2017 - page 22

titelthema
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wirtschaft + weiterbildung
07/08_2017
R
Wie Geschichten funktionieren
In einer von Fakten geprägten Welt ist
die Grundannahme einer objektiven
Wirklichkeit, die messbar ist, eine hei-
lige Kuh. Managern in einem Kommu-
nikationsseminar den Konstruktivismus
zu erklären, ist vor diesem Hintergrund
sehr mühsam. Ein Trainer erzählt deshalb
gerne folgende Geschichte: Ein Frosch
und ein Fisch waren Freunde. Der Frosch
schilderte eines abends seine Begegnung
mit einer Kuh, die vier Beine, spitze Hör-
ner, einen langen Schwanz und ein sehr
großes Euter hatte. Der Fisch versuchte
sich das alles wortgetreu vorzustellen,
sah vor seinem inneren Auge zwischen
den vier Beinen aber noch Kiemen. Und
der Schwanz, den er sich in seinem Kopf
konstruierte, sah einer Flosse verdächtig
ähnlich. Mit dieser kleinen Geschichte
vermittelt der Trainer den Kerngedanken
des Konstruktivismus!
Dieses Buch zu lesen, ist eine echte Wei-
terbildungsmaßnahme für Trainer, Bera-
ter und Coachs. Sie lernen die wichtigsten
narrativen Methoden kennen und können
anschließend mit den unterschiedlichsten
Formaten gezielt Aufmerksamkeit, emo-
tionale Bindung und Identifikation (zum
Beispiel mit einem Change-Prozess) er-
zeugen.
Weg mit der Hierarchie?
Schon 2011 behauptete Gary Hamel am
Beispiel der US-Firma „Morningstar“,
dass Führungskräfte vollständig überflüs-
sig seien, weil sich die notwendigen Ab-
stimmungsprozesse und Entscheidungs-
vorgänge am besten in kollegialer Selbst­
organisation bewältigen ließen. Andere
Vordenker wie Rudi Wimmer oder Stefan
Kühl widersprachen dieser radikalen Ver-
zichtbarkeitsthese deutlich.
Michaela Moser legt auf 264 Seiten dar,
warum und wie in den Unternehmen
die Hierarchien abzuschaffen sind. Sie
plädiert für eine Heterarchie, die Herr-
schaft aller. Die Heterarchie ist eine sich
selbst steuernde Organisation, die ihre
Ordnungsmuster an den Anforderungen
der zu lösenden Probleme ausrichtet und
hierarchische Beziehungen zugunsten
eines flexiblen Modells aufgibt. Moser
theoretisiert nicht nur, sondern hat eine
klare Vorstellung davon, wie traditio-
nell strukturierte Unternehmen bei ihrer
Transformation in eine hierarchielose
Organisation vorgehen sollten. Um gute
Abstimmungsprozesse zu ermöglichen,
plädiert die Autorin für flächendeckende
Teamtrainings. Auch rät sie zu Organisa-
tionsaufstellungen, um das herauszufin-
den, was die Transformation hemmt.
Informell geht‘s besser
Familienunternehmen sind einmal Fa-
milie (Zusammenhalt, langfristige Ori-
entierung, Vertrauen untereinander,
Unkündbarkeit der Mitgliedschaft) und
gleichzeitig auch Unternehmen (profit-
orientiert, emotions- und rücksichtslos,
schnell entscheidend). Mit diesen Wider-
sprüchen kann man den Autoren zufolge
dank eines ausgefeilten Paradoxiema-
nagements gut umgehen.
Schwieriger zu beantworten ist die Frage,
wie Familienunternehmen ihre langfris­
tigen Grundsatzentscheidungen treffen
sollten. Die Antwort weiß das vorliegende
Buch. Die Autoren kommen vom WIFU,
dem Institut für Familienunternehmen
an der Uni Witten/Herdecke. Durch Tref-
fen mit Familienvertretern von Henkel,
Merck, Haniel, Oetker und anderen ge-
lang es den Autoren herauszufinden, dass
es quasi ein „Naturgesetz“ ist, dass alle
Grundsatzentscheidungen durch eine Au-
toritätsperson informell vorbereitet wer-
den. Denn bei offiziellen Abstimmungen
darf niemals jemand gekränkt werden,
wenn die langfristige Existenz gesichert
werden soll. Zur Intelligenz eines Sys-
tems gehört es offenbar, dass die formelle
Ebene immer auch von der informellen
Ebene gestützt wird.
Michael Müller:
„Einführung in narrative Methoden der
Organisationsberatung“, Carl-Auer Ver-
lag (erschienen in der Reihe: Carl-Auer
Compact), Heidelberg 2017,
124 Seiten, 14,95 Euro
Michaela Moser:
„Hierarchielos führen: Anforderungen
an eine moderne Unternehmens- und
Mitarbeiterführung“, Verlag Springer
Gabler, Wiesbaden 2017, 264 Seiten,
39,99 Euro
Arist von Schlippe, Torsten Groth,
Tom A. Rüsen:
„Die beiden Seiten der Unternehmer-
familie: Familienstrategie über Gene-
rationen“, Vandenhoeck & Ruprecht,
Göttingen 2017, 320 Seiten, 40 Euro
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