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wirtschaft + weiterbildung
07/08_2017
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durch ihre Produktivität steigern. Taiichi
Ohno, der ehemalige Vizepräsident und
Vater des Toyota Produktionssystems, hat
neben dem Satz „Der menschliche Ver-
stand kennt keine Grenzen“ auch folgen-
des gesagt: „Damit die Menschen lernen,
ihren Verstand zu gebrauchen, müssen
sie vorher an einer Aufgabe verzweifeln.“
Er fand es sehr wichtig, den Menschen
sehr anspruchsvolle Aufgaben zu stellen.
Auch Katsuaki Watanabe, der ehemalige
Toyota-Präsident, sagte immer wieder:
„Stelle anspruchsvolle Aufgaben immer
so, dass ein Dilemma zu lösen ist.“ Zwei
sich widersprechende Probleme müssen
gleichzeitig gelöst werden – zum Beispiel:
„Die Qualität erhöhen, während man
auch die Kosten senkt.“ Oder: „Ein Auto
entwickeln, das die Luft umso sauberer
macht, je mehr man fährt.“ Oder „Die
Kundenzufriedenheit steigern, indem
man effizienter verkauft.“
Am Arbeitsplatz, also am Ort der Wert-
schöpfung (Gemba), ist man oft ver-
sucht, eindimensional nur die Kosten
zu senken. Aber wenn man gleichzeitig
auch die Qualität verbessern muss, dann
kann man dies nicht auf die bekannten
Weisen erreichen. Man muss neue Pfade
betreten. Erst wenn der Mensch auf dem
bisherigen Weg nicht mehr weiterkommt,
wird er zum ersten Mal in der Lage sein,
sich einen neuen Weg zu suchen, indem
er sein gesamtes Denkvermögen mehr als
vorher aktiviert.
Wann Führungskräfte einen
Rat geben sollten
Wichtig ist dabei auch der Zeitpunkt,
wann der Vorgesetzte seinem Mitarbeiter
einen Rat gibt. Verbesserungen auf einem
hohen Niveau sind nicht auf herkömm-
lichen Pfaden zu erreichen. Es ist zum
Beispiel notwendig, die Vogelperspektive
einzunehmen. Nehmen wir den Mitarbei-
ter aus obigem Beispiel, dem aufgetragen
wurde, die Kosten zu halbieren. Er muss
seine Produktionslinie wie ein Vogel von
oben betrachten und sich Gedanken dazu
machen, wie er die vor- und nachgelager-
ten Bereiche in seine Sparbemühungen
involviert. Angenommen, er merkt nach
intensivem Hin- und Herüberlegen und
Experimentieren, dass die Hinweise auf
Verbesserungen im nachfolgenden Be-
reich, in dessen Prozess, verborgen sind.
Dann muss er sich nun den nachfolgen-
den Bereich ansehen und mit den dort
arbeitenden Menschen sprechen. Trainer
Murakami betont, dass es ganz wichtig
sei, dass der Vorgesetzte seinen Mitarbei-
ter genau dann anspreche, wenn dieser
sich tief in ein Problem vergraben habe
und nicht mehr weiter komme oder frisch
auf einen Hinweis gestoßen sei, den er
noch nicht umsetzen konnte.
Die Suche nach dem Neuen
darf nie aufhören
„Nur wenn der Mitarbeiter gerade vor
einer Wand steht, erreichen deine Rat-
schläge sein Herz. Wenn du den Moment
erwischst, wo einer, der bislang immer
nur auf seinen eigenen Prozess geschaut
hat, anfängt auch den nachgelagerten
Bereich zu betrachten, und wenn du ihn
dann fragst: „Na, klappt es?“ Dann kom-
men solche Antworten wie: „Hmm, ich
glaube, 30 Prozent schaffen wir, aber 50
Prozent werden schwierig.“ In diesem
Moment müsse der Vorgesetzte den Mit-
arbeiter unbedingt für diese 30 Prozent
loben. Erst danach dürfe er einen weiter-
führenden Ratschlag geben. Dann nehme
der Mitarbeiter den Schwung des Lobes
mit und beginne in Richtung 50 Prozent
zu laufen.
Hier wird deutlich, worin sich das Un-
ternehmensbild Toyotas von einem rein
rational geprägten Unternehmensver-
ständnis unterscheidet. Es ist nicht die
Ratio, die mit dem Absolutheitsanspruch
einer wissenschaftlichen Erkenntnis den
Menschen vorgibt, wie sie zu handeln
haben. Vielmehr fürchtet das Unterneh-
men genau das, dass die Menschen auf-
hören, ihr eigenes Denkvermögen zu nut-
zen! Die Mitarbeiter sollen selbstständig
vermeintlich unverrückbare Erkenntnisse
hinterfragen, damit sich neue Pfade auf
dem Weg zum Ziel auftun.
Natürlich gibt es Mitarbeiter, die trotz
intensiven Nachdenkens nicht zum Han-
deln kommen. Wenn man merkt, dass
sie es aber wirklich versuchen, dann hilft
zum Beispiel ein konkreter Ratschlag:
„Wie wäre es denn, wenn Sie zu Herrn
A im nachfolgenden Bereich gingen, um
ihn zu fragen, was er zu Ihrem Problem
meint?“ Ganz wichtig ist es, dass man