wirtschaft + weiterbildung
03_2017
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„Schneller, mutiger, dynamischer, verrückter“
Wie bewerten Sie angesichts der Cranet-Ergebnisse den
Status quo betrieblicher Weiterbildung in Deutschland?
Rüdiger Kabst:
Wir haben Deutschland mit elf Ländern
verglichen, unter anderem mit den USA, Großbritannien,
Österreich und der Schweiz. Wenn wir etwa den Anteil der
Weiterbildungskosten an den Lohnkosten in diesen Län-
dern betrachten, zeigt sich, dass Deutschland sich nur im
unteren Mittelfeld bewegt. Das könnte natürlich bedeuten,
dass in Deutschland die Personalentwicklungsmaßnahmen
bei geringen Kosten besonders effizient sind – aber auch,
dass die Deutschen noch nicht genug Geld in die betriebli-
che Weiterbildung stecken.
Wie interpretieren Sie dieses Ergebnis?
Kabst:
Ich glaube, die Wahrheit liegt in der Mitte. Aber aus
zwei Gründen sind Weiterbildungsinvestitionen in Deutsch-
land besonders wichtig und werden noch wichtiger werden:
zum einen, weil hierzulande die Belegschaften stabiler sind
als etwa in den USA oder Großbritannien, wo Mitarbeiter
weniger Mitsprache und einen geringeren Kündigungs-
schutz genießen. Zum anderen entstehen durch die Digita-
lisierung mehr Anforderungen an eine qualifizierte Weiter-
Interview.
Der deutsche Cranet-Repräsentant Professor Rüdiger Kabst hat mit uns über die
auffälligsten Ergebnisse der HR-Studie rund um Weiterbildungsthemen gesprochen. Aus den
Ergebnissen leitet er ab, wo deutsche Personalentwickler ansetzen können, um
zukunftsfähige und international konkurrenzfähige Weiterbildungsmaßnahmen zu schaffen.
bildung. Das ist natürlich nicht nur eine Frage der Kosten:
Wir müssen vor allemmit Innovationsvorsprüngen punkten.
Wie kann das gelingen?
Kabst:
Die Unternehmen sollten mehr experimentieren,
neue Tools implementieren, um schneller zu werden, neue
Ideen zu gewinnen und geeignete Inhalte und Formate
schneller umsetzen zu können. Konkret gelingen kann das
mit Methoden wie „Lean Start-up“ oder „Business Model
Canvas“, die ursprünglich aus dem Silicon Valley kommen,
aber nicht nur Start-ups, sondern auch etablierten Unter-
nehmen nutzen. Für Personalentwickler bedeutet das: Sie
müssen Lerninhalte und -tools hinterfragen und sich selbst
mehr in die Richtung eines „HR Intrapreneurs“ entwickeln.
Wie weit ist die Digitalisierung von Lernprozessen?
Kabst:
Die Digitalisierung von Lernprozessen ist noch
sehr ausbaufähig. Zwar reden alle davon, und immerhin
68 Prozent der Befragten setzen digitalisierte Lösungen
zum Lernen ein. Das sind aber wohl oft nur isolierte Inst-
rumente. Denn als systematische Maßnahme zur Karriere
förderung wird E-Learning deutlich seltener genutzt: Hier
landet computergestütztes Lernen nur auf den unteren
Rängen. Beliebter sind bei Personalentwicklern weiter
die Klassiker unter den Karrieremaßnahmen wie Spezial-
aufgaben, Training on-the-job, Mitarbeit in Projektteams.
Immerhin scheint ihnen klar zu sein, dass sich hier etwas
ändern muss: Denn rund 60 Prozent der Befragten schät-
zen die künftige Bedeutung von digitalisierten Prozessen
und Instrumenten im Learning als hoch oder sehr hoch ein.
Was können Sie deutschen Weiterbildnern mit auf den
Weg in die Zukunft geben?
Kabst:
Dass sie künftig schneller, mutiger, dynamischer
und verrückter agieren. Sie sollten neue Formate, Inhalte
und Werkzeuge nicht nur von Wettbewerbern, sondern
auch aus anderen Branchen mit dynamischen Märkten
ausprobieren und die Innovationskultur ihres eigenen
Unternehmens hinterfragen, um auf neue Ideen zu kom-
men. Inzwischen gibt es kaum ein Dax-Unternehmen, das
keine Innovations-Garage oder Start-up-Inkubator hat, um
so eine neue Art des Lernens in die Organisation zu tragen.
Daran sollte sich künftig auch der Mittelstand orientieren!
Interview: Andrea Sattler
Prof. Dr. Rüdiger
Kabst,
Universität
Paderborn, ist seit
2004 deutscher
Repräsentant des
Cranet-Netzwerks.