wirtschaft + weiterbildung
03_2017
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„So wie du in der Stadt neben mir läufst,
bin ich überhaupt nicht stolz auf dich.“
Das aufkommende Gefühl einer Min
derwertigkeit wird unbewusst (!) durch
übersteigerte Fantasien von der eigenen
Größe abgemildert.
Manfred Kets de Vries, Professor am Cen
tre for Clinical Organization & Leadership
Studies in Fontainebleau Cidex, schilderte
in seinem 1993 erstmals erschienenen
Buch „Führer, Narren und Hochstapler:
Die Psychologie der Führung“ Eltern, die
die persönlichen Gefühle ihres Kindes
nicht zur Kenntnis nahmen, sondern nur
auf eine äußere Erscheinung achteten.
Die Eltern verschafften sich durch das
„schöne“ Kind Bewunderung. Sein „wah
rer Charakter“ war ihnen gleichgültig.
Kets de Vries erklärte: „Nur wenn Kinder
spüren, dass sie um ihrer selbst willen
von anderen geschätzt werden, können
sie sich in ihrer Haut wohlfühlen und ein
Gefühl für ihren Wert und ein Selbstbe
wusstsein entwickeln.“
Narzissten fühlen sich mithin im inner
sten Kern wertlos und kompensieren das
dadurch, dass sie sich aufblasen und
Bewunderung mehr oder weniger er
zwingen. Sie suchen nach Anerkennung
und reagieren aggressiv und manchmal
auch depressiv, wenn ihnen diese versagt
wird. „Das hervorstechendste Merkmal
des Narzissmus ist die Kränkbarkeit“,
fasst Dr. Christian Mayer, Facharzt für
Psychiatrie und Psychotherapie in Mün
chen, seine Erfahrungen zusammen.
„Eben weil ihr Selbstbewusstsein nicht
stabil ist, beurteilen Narzissten viele
- auch neutrale - Situationen als Krän
kung und bestrafen dann ihr Gegenüber
mit aggressivem Verhalten, Sanktionen
oder Kontaktabbruch.“ Damit von einer
krankhaften Persönlichkeitsstörung gere
det werden kann, müssen laut Prof. Dr.
Reinhard Haller, Insbruck, Chefarzt einer
psychiatrisch-psychotherapeutischen Kli
nik, folgende vier „E“s beobachtbar sein:
1. Egozentrizität, 2. Empfindlichkeit,
3. Empathiemangel und 4. Entwertung.
Während die ersten drei Punkte sofort
einleuchten, muss zum vierten Punkt er
läutert werden, dass Narzissten oft einen
zusätzlichen Weg einschlagen, um sich
selbst zu erhöhen: Sie werten fast alle
anderen gezielt ab. Selbstaufwertung und
die Abwertung anderer sind zwei Seiten
einer Medaille.
Was tun?
Der Umgang mit einem Narzissten ist
eine große Herausforderung. Was kann
ein Angestellter tun, um sich das Arbei
ten unter einem Narzissten zu erleich
tern? Die Ratschläge der Experten lassen
sich zu drei wesentlichen Tipps zusam
menfassen:
1.
Keine Machtkämpfe anfangen
„Meist ist es unklug, mit anderen Men
schen Machtkämpfe auszutragen, aber
mit einem Narzissten ist es völlig tö
richt“, warnt Werner Berschneider, Busi
ness-Coach und Autor des Buchs „Wenn
Macht krank macht“. Der Narzisst lebt
davon, dass er sich seine Überlegenheit
mit einem Sieg über andere unter Be
weis stellt. Ein Machtkampf kommt ihm
immer gelegen. Er hat das Kämpfen seit
frühester Kindheit trainiert und wird
wirklich alles tun, um sein aufgeblähtes
Selbstbild zu erhalten. Berschneider ist
sich sicher: „Bevor ein Narzisst unter
liegt, wird er alles versuchen – von der
unfairen Dialektik über Unterstellungen
bis hin zu den dreistesten Lügen.“ Wenn
er sich in die Ecke gedrängt sieht, ist auch
noch mit weit aggressiveren Reaktionen
zu rechnen. Der Narzisst hat in seinem
Leben schon viele positive Erfahrungen
damit gesammelt, andere niederzuma
chen, so dass er einem Amateur auf
diesem Gebiet weit überlegen ist. Es ist
zum Beispiel einfach unwahrscheinlich,
dass ein „normaler“ Mensch über einen
so großen Wortschatz an aggressiven,
beleidigenden Vokabeln verfügt, wie sie
einem Narzisten leicht über die Lippen
kommen. „Der Klügere gibt nach“, ist
hier die schlauere Strategie. Eine offene
Konfrontation darüber, wer recht hat oder
stärker ist, muss unbedingt vermieden
werden. Auch sollte man nie auf einen
Kompromiss hoffen, denn der ist für
einen Narzissten genauso unakzeptabel
wie eine Niederlage.
Einmal attackiert, wird der Narzisst sich
nicht damit begnügen, den Angriff ab
zuwehren, sondern kurz darauf mehrere
Gegenangriffe starten. Er wird dieses
„Spiel“ länger durchhalten als jeder an
dere Mensch. Und selbst wenn ein kamp
ferprobter Profi, der bereit sein müsste so
feindselig-aggressiv zu handeln wie sein
Gegenspieler, gegen einen Narzissten „ge
winnen“ würde, hätte er doch nur eine
Schlacht gewonnen und nicht den Krieg,
R
Buchtipp 1.
Reinhard Haller: „Die Macht
der Kränkung“, Ecowin Sachbuchverlag,
Salzburg 2015 (4. Auflage), 248 Seiten,
21,95 Euro
Buchtipp 2.
Gerhard Dammann: „Nar-
zissten, Egomanen, Psychopathen in der
Führungsetage“, Haupt Verlag, Bern 2007,
221 Seiten, 34,90 Euro
Buchtipp 3.
Manfred Kets de Vries: „Führer,
Narren und Hochstapler: Die Psychologie
der Führung“, Schäffer Poeschel Verlag,
Stuttgart 2008, 224 Seiten, 29,95 Euro