wirtschaft + weiterbildung
03_2017
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Prof. Dr. Hans-Jürgen Wirth.
Der 66-Jährige ist Psycho-
analytiker und Psychologischer
Psychotherapeut. Seit 2010
hat er eine außerplanmäßige
Professur für Soziologie und
psychoanalytische Sozial-
psychologie an der Universität
Frankfurt am Main inne.
In welchen Unternehmen dürften mehr
Narzissten anzutreffen sein: kleinen und
mittleren, die familiengeführt sind, oder
großen, internationalen mit angestellten
Managern?
Wirth:
Es hängt nicht von der Größe der
Unternehmen ab. Es wird leicht über-
sehen, dass es sich bei Narzissmus und
Macht um elementare Bestandteile des
menschlichen Zusammenlebens han-
delt, die in allen sozialen, kulturellen,
politischen und gesellschaftlichen Ver-
hältnissen eine zentrale Rolle spielen.
Narzissten findet man nicht nur in den
oberen Ebenen der Politik, sondern auch
im Sportverein, in Familienunternehmen
und Berufsvereinigungen.
Woran merke ich, dass mein Chef eine
narzisstische Persönlichkeit ist?
Wirth:
Wenn der Chef immer recht be-
halten will, gerne scharfe Kritik austeilt,
gleichzeitig aber leicht gekränkt reagiert,
wenn man anderer Meinung ist oder ihn
gar kritisiert, dann liegt der Verdacht
nahe, dass er ausgeprägt narzisstische
Charakterzüge aufweist.
Und nun? Wie soll ich reagieren, wenn
sich mein Chef als Narzisst entpuppt?
Wirth:
Wichtig ist, sich nicht mit ihm in
einen narzisstischen Machtkampf zu ver-
stricken, das heißt, man sollte die emo-
tionalen Ausbrüche des Chefs nicht zu
persönlich nehmen. Man sollte sich also
weder von seiner überzogenen Kritik
kränken und verunsichern lassen noch
sich von seinen Schmeicheleien und sei-
nem übertriebenen Lob verführen lassen,
und schon gar nicht sollte man sich auf
einen Wettkampf einlassen, wer denn
der Bessere, Klügere und Überlegene ist.
Stattdessen sollte man sich auf die an-
stehenden sachlichen Probleme konzen-
trieren und deren sachlich angemessene
Bearbeitung in den Mittelpunkt der Ge-
spräche und der eigenen Arbeit stellen.
Denn der grundlegende Fehler des Nar-
zissten besteht darin, dass er nicht lö-
sungsorientiert arbeitet, sondern seine
Führungsposition dazu missbraucht, um
seine Selbstwertprobleme zu kompensie-
ren. Dafür sollte man sich möglichst nicht
einspannen lassen.
Besteht die Chance, dass ich ihn
„umerziehen“ kann?
Wirth:
Diese Chance ist äußerst gering.
Zum einen ist es nicht die Aufgabe einer
Mitarbeiterin, eines Mitarbeiters, den
Chef umzuerziehen. Es besteht dann eher
die Gefahr, dass man sich persönlich ver-
strickt. Vor allem aber ist es grundsätzlich
sehr schwer, einen anderen Menschen
„umzuerziehen“ – sogar in einer Part-
nerschaft. Man sollte eher bei sich selbst
ansetzen, also sein eigenes Verhalten än-
dern und beispielsweise darauf achten,
dass man sich nicht auf die „Machtspiel-
chen“ des narzisstischen Partners ein-
lässt.
Wie vertrauenswürdig und integer sind
Narzissten? Oder um auf Donald Trump
zurückzukommen: Muss ich damit
rechnen, ständig mit „alternativen
Fakten“ konfrontiert zu werden?
Wirth:
Ausgeprägte Narzissten wie Trump
sind weder vertrauenswürdig noch inte-
ger. Sie schenken anderen Menschen kein
Vertrauen, sondern bauen auf Macht,
Kontrolle und „Deals“. Ihr eigenes Han-
deln ist von Misstrauen, Drohungen und
kalter Berechnung bestimmt. Deshalb
können sie sich auch gar nicht vorstel-
len, dass gemeinschaftliches Handeln auf
wechselseitigem Vertrauen basiert. Eine
Ausnahme bilden allenfalls Verwandte.
Deshalb hat Trump auch einige Mitglie-
der seiner eigenen Familie zu seinen
engsten Beratern gemacht. Da Vertrauen,
Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit für
Narzissten keine Rolle spielen, sind sie
auch nicht integer, sondern biegen sich
die Wirklichkeit so zurecht, wie sie ihnen
in den Kram passt. Unverfrorene Lügen
und die schamlose Präsentation „alterna-
tiver Fakten“ gehören zu den hervorste-
chenden Machttechniken ausgeprägter
Narzissten.
Bitte einen Tropfen Balsam auf die
Narzisstenseele: Welche guten Seiten
haben diese Persönlichkeiten?
Wirth:
Narzissten sind begeisterungsfä-
hig und einsatzbereit – vor allem, wenn
es um ihre eigenen Projekte geht. Sie
können andere mitreißen und bei ihren
Anhängern starke Gefühle auslösen. Vor
allem sollte man aber zwischen einem
gesunden und einem übersteigerten und
damit problematischen Narzissmus un-
terscheiden. Diese Unterscheidung ist
theoretisch wichtig, auch wenn sie prak-
tisch oft nicht leicht zu treffen ist und
wenn die Übergänge fließend sind. So
ist es einer Führungsperson durchaus er-
laubt, ihre gesunden narzisstischen Stre-
bungen in ihre Arbeit einfließen zu las-
sen. Die gesunden narzisstischen Wün-
sche und Bedürfnisse sind ein wichtiges
Stimulans für die Führungsaufgabe. Bei-
spielsweise ist es unproblematisch, wenn
eine Leitungsperson stolz auf die Arbeit
und die Erfolge ist, die sie selbst und die
von ihr geleitete Gruppe erbracht haben.
Ihr Selbstwertgefühl sollte sich durch sol-
che Erfolge steigern, sie sollte sich auch
gerne mit ihrer Arbeit in der Öffentlich-
keit zeigen und sich dafür anerkennen,
feiern und gegebenenfalls auch wählen
lassen. Das alles sind Ausdrucksformen
eines gesunden Narzissmus, die der sach-
lichen Arbeit und auch der Entwicklung
der Persönlichkeit des Leiters dienen und
der Weiterentwicklung der Gruppeniden-
tität förderlich sind.
Interview: Christoph Stehr
Foto: Psychosozial-Verlag