wirtschaft und weiterbildung 3/2017 - page 22

22
wirtschaft + weiterbildung
03_2017
titelthema
und gewitzten Manipulatoren umgibt,
verschafft er sich eine Bestätigung seines
Selbstbildes, untergräbt jedoch zugleich
seine realistische Selbstwahrnehmung
und verfestigt seinen illusionären und
von Feindbildern geprägten Weltbezug.
Fremdenhass und Gewalt gegen Sünden-
böcke zu schüren, gehört zu den bevor-
zugten Herrschaftstechniken narzissti-
scher Führerpersönlichkeiten.
Trotzdem scheitern viele Narzissten ...
Wirth:
Geblendet von seinen eigenen Grö-
ßen- und Allmachtsfantasien und von der
Bewunderung, die ihm seine Anhänger
entgegenbringen, verliert der Narzisst
den Kontakt zur gesellschaftlichen Rea-
lität und muss letztlich scheitern, auch
wenn er zeitweise noch so grandiose Er-
folge feiern kann. Häufig folgt nach glän-
zenden Siegen ein jäher und unerwarteter
Absturz, weil der narzisstische Herrscher
einerseits im Vollgefühl seiner Omnipo-
tenz den Bogen überspannt und anderer-
seits seine paranoide Weltsicht stets neue
Feinde sucht und hervorbringt, an denen
er schließlich scheitert.
Sind Narzissten glückliche Menschen –
zumindest, solange sie sich nicht selbst
ein Bein stellen?
Wirth:
Glück ist ja für uns alle nur ein re-
lativ flüchtiger Zustand. Wir fühlen uns
vor allem dann glücklich, wenn wir von
anderen anerkannt und geliebt werden.
Narzissten haben aber das Problem, dass
sie versuchen, sich Anerkennung und
Liebe durch Geld, Macht und Imponier-
gehabe zu erkaufen und zu erzwingen.
Jedoch verschleiern sie damit nur ihre
fundamentale Abhängigkeit von der Zu-
wendung ihrer Mitmenschen, ohne sie
wirklich aufheben zu können. Denn er-
zwungene oder gekaufte Anerkennung
ist nicht authentisch und nährt im Nar-
zissten die Ungewissheit, ob sie denn
echt und ernst gemeint sei. Die daraus
entstehenden Zweifel und Selbstzweifel
führen zu narzisstischer Bedürftigkeit
und narzisstischer Wut, die mit einer
weiteren Steigerung des Machtgebarens
beantwortet werden. Aus dieser Dynamik
leitet sich der suchtartige Charakter von
Machtprozessen ab, die sich aus narziss-
tischen Konflikten speisen.
Unternehmen suchen für Führungs­
positionen keine grauen Mäuse, sondern
Alphatiere, die ihren Mitarbeitern zeigen,
wo es langgeht. Sind die üblichen
Auswahlinstrumente – Assessment
Center oder Headhunting – möglicher­
weise Einfallstore für Narzissten?
Wirth:
Auswahlverfahren für Führungspo-
sitionen, die besonders die Stressresistenz
und Durchsetzungsfähigkeit der Kandida-
tinnen und Kandidaten testen, können in
der Tat dazu führen, dass Eigenschaften
wie Rücksichtslosigkeit und Egomanie
begünstigt werden. Aber letztlich hängt
es davon ab, welche Eigenschaften die
Organisation präferiert. In modernen Or-
ganisationen werden von den Führungs-
kräften ja auch Teamgeist, Einfühlungs-
vermögen, ein integrativer Führunsgsstil
und das Bewusstsein für ethische Stan-
dards verlangt. Die Skandale bei weltbe-
kannten Firmen wie Siemens, VW und
der Deutschen Bank haben ja hoffentlich
auch die positive Auswirkung, dass man
dort erkennt, dass ethische Richtlinien
eingehalten werden müssen.
Herr Professor Wirth, Narzissten wollen
nach oben – und schaffen das oft auch,
wie Sie in Ihrem Buch „Narzissmus und
Macht“ schreiben. Bei Donald Trump,
dem Sie schon früh eine narzisstische
Persönlichkeit attestiert haben, sollten
Sie recht behalten. Ist das nicht genau
der Typ Erfolgsmensch, den wir in der
Wirtschaft sehen möchten?
Prof. Dr. Hans-Jürgen Wirth:
Was ihre
Energie, ihren Durchsetzungswillen und
ihren Hunger nach Erfolg anbelangt, sind
solche Erfolgsmenschen sicherlich in
der Wirtschaft, in der Politik, aber auch
im Sport sehr willkommen. Aber positiv
bewertete Eigenschaften wie Selbstver-
trauen, Selbstbewusstsein, Selbstsicher-
heit können auch umschlagen in Selbst-
überschätzung, Arroganz und Rücksichts-
losigkeit. Dies ist dann der Fall, wenn
narzisstisch gestörte Menschen nach
Macht streben, um damit ihr mangelhaf-
tes Selbstwertgefühl zu kompensieren.
Sie suchen Macht und Erfolg um jeden
Preis, um ihre Größen- und Allmachtsfan-
tasien auszuleben. Macht wirkt wie eine
Droge: Die Selbstzweifel verfliegen, das
Selbstbewusstsein steigt. Macht übt des-
halb gerade auf solche Personen eine un-
widerstehliche Anziehungskraft aus, die
ausgeprägt narzisstische Züge aufweisen.
Warum ist es so schwer, Narzissten zu
stoppen?
Wirth:
Ungezügelte Selbstbezogenheit,
Siegermentalität, und Größenfantasien
sind Eigenschaften, die der narzisstisch
gestörten Persönlichkeit den Weg in die
Schaltzentralen der Macht ebnen. Indem
sich der narzisstisch gestörte Führer vor-
zugsweise mit Jasagern, Bewunderern
„Alternative Fakten“: eine
Machttechnik der Narzissten
INTERVIEW.
Einen Vorgesetzten wie den US-Präsidenten Donald Trump wünscht sich
niemand. Im Gespräch mit Christoph Stehr wirft der Gießener Psychoanalytiker Professor
Hans-Jürgen Wirth einen Blick in die Narzisstenseele. Wirth ist auch Gründer des
Psychosozial-Verlags. Hier erschien 2002 sein Grundlagenwerk „Narzissmus und Macht“.
1...,12,13,14,15,16,17,18,19,20,21 23,24,25,26,27,28,29,30,31,32,...68
Powered by FlippingBook