personal- und organisationsentwicklung
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wirtschaft + weiterbildung
11/12_2015
Die Arbeitswelt 4.0 setzt auf Heterogeni-
tät, Individualität und Situationsgerech-
tigkeit. Es entwickelt sich ein „At Will
Management“ mit den Teilgebieten „At
Will Connecting“, „At Will Constructing“
und „At Will Contracting“.
Dauerhafte Arbeitsverhältnisse sind nur
dann zu halten, wenn die Mitarbeiter in
Wirtschaft und Verwaltung bereit sind
und durch Weiterbildung in die Lage ver-
setzt werden, die situativen Anforderun-
gen professionell zu erkennen und durch
fortgesetzte Weiterbildung anforderungs-
gerecht zu erfüllen. Wird diese personale
interorganisatorische Flexibilität nicht
erreicht, werden die Beschäftigungsver-
hältnisse erodieren, rasche Beschäfti-
gungswechsel sind die Folge. Die Wei-
terbildung wird in großem Umfang als
sogenanntes „Brown Bag Development“
vermittelt werden – also arbeitsplatznah
und in Kleinsteinheiten; abgeleitet von
kurzen Sitzungen in der Mittagszeit, zu
der sich jeder einen Lunch in der in den
USA üblichen Lunchtüte („Brown Bag“)
mitnimmt. Ad-hoc-Arbeitsgruppen ent-
stehen, Kooperationen über Abteilungs-
und Organisationsgrenzen hinaus dienen
der Integration der Leistung aus vielen
Quellen. Die Zusammenarbeit muss ein-
geübt werden.
Die Aufgaben der Führungskräfte wer-
den unterteilt in „Strukturale Führung“,
zu der Aufgaben zählen, die den Rahmen
der Arbeit definieren wie Strategie, Ent-
gelt oder Unternehmenskultur, und ande-
rerseits in „Personale Führung“, zum Bei-
spiel das Motivieren der Mitarbeiter oder
das Konfliktmanagement. In der Arbeits-
welt 4.0 verlagert sich der Schwerpunkt
der Führung zur strukturalen Führung.
Die Algorithmen der Systeme setzen die
Standards für die repetitiven Arbeiten,
steuernde Eingriffe der Führungskräfte
werden entbehrlich. Den Führungskräf-
ten obliegt es in den „direkten Bereichen“
der Arbeitswelt 4.0 als „Facilitators“ dafür
zu sorgen, dass die Arbeitsbedingungen
erträglich sind und das Gehalt stimmt.
Führungskräfte der mittleren Führungs-
ebene kommt die Aufgabe zu, die Wei-
terbildung der Experten in den jeweiligen
Funktionsbereichen sicherzustellen und
dafür Sorge zu tragen, dass die Zusam-
menhänge der komplexen Wertschöpfung
verstanden werden. Auf der oberen Füh-
rungsebene dominiert die Verantwortung
für den Erhalt der Unabhängigkeit, Ein-
zigartigkeit und Unverwechselbarkeit der
Organisation. Strategische Führung wird
wichtiger werden, weil die externen und
internen Bedingungen rasch wechseln
und strategische Anpassungen erforder-
lich werden.
Konkret wird die Führung in der Arbeits-
welt 4.0 mehr und mehr zur Führung
mit der Binde vor den Augen mutieren.
Autonome, gut ausgebildete Spezialisten
sind von Führungskräften zu führen, die
die Inhalte der Expertentätigkeiten nicht
mehr ausreichend beurteilen können. Der
Aufbau von Systemvertrauen, persönlich
belastbaren Beziehungen, von Loyalität
und Teamgeist ist die prominente Auf-
gabe der Führungskräfte auf allen Ebe-
nen.
Das Führungstraining für die Arbeits-
welt 4.0 muss die Zusammenarbeit in
der miteinander verbundenen realen und
virtuellen Welt („Augmented Reality“)
durch reale szenische Elemente erlebbar
machen. Die Führungskräfte müssen ler-
nen zu erkennen, wie ihre Mitarbeiter
reale und virtuelle Informationselemente
ergebnissicher zusammenfügen. Leis-
tung und Zusammenarbeit finden in der
„Mixed Reality“ der Arbeitswelt 4.0 als
Kombination von Wirklichkeit und Simu-
lation statt. Das Führungskräftetraining
wird die Führungskräfte befähigen müs-
sen, zu erkennen und zu bewerten, was
die Beschäftigten (noch) als persönliche
Leistung in den Wertschöpfungsprozess
einbringen. Schließlich bedarf es auch in
der Zukunft leistungsgerechter Beurtei-
lungsverfahren.
Individuelle Förderung in der
Arbeitswelt 4.0
Die Arbeitswelt 4.0 ist janusköpfig. Einer-
seits verlangen die Algorithmen der Ver-
netzung eine wachsende Konformität, an-
dererseits verlangt die Individualisierung
der Fertigung eine auf die jeweilige Situ-
ation angepasste Befähigung. Die Indivi-
dualisierung der Wertschöpfung verlangt
eine Individualisierung der Förderung.
Sie wird an Bedeutung gewinnen, weil
die Förderinstrumente maßgeschneidert
sicherstellen, dass die Beschäftigungsfä-
higkeit erhalten bleibt.
Förderung umfasst alle Maßnahmen, die
von einer Person oder Organisation zur
Stabilisierung der Arbeits- und Beschäf-
tigungsfähigkeit und zur beruflichen Ent-
wicklung zielgerichtet, systematisch und
methodisch geplant, realisiert und evalu-
iert werden. Ihr Start- und Zielpunkt sind
die Tätigkeiten und Anforderungen. Stel-
lenbündel erfassen die Kernaufgaben und
die Basisanforderungen und sind Grund-
lage der individuellen Förderung.
Weil Tätigkeiten und Anforderungen sehr
schnell wechseln, bedarf es der Förderung
einer Basisbefähigung, die es erlaubt, die
wechselnden Anforderungen zu erfüllen.
Diese Basis- oder Umstellungsbefähigung
kann als „Slack-Potenzial“ bezeichnet
werden, was für eine unzureichende Aus-
lastung zum Beispiel der Kapazität steht.
Personaler und organisationaler „Slack“
sind zu verstehen als Handlungs-, Ein-
greif- und Umstellungsreserven, die es
Personen und Organisationen erlauben,
interne und externe Herausforderungen
situationsgerecht zu meistern. „Slack“ ist
dreifach zu unterscheiden in
• „No Slack“,
• „Bad Slack“ und
• „Good Slack“.
In der Arbeitswelt 4.0 reicht es nicht
mehr aus, dass Mitarbeiter tun, was sie
können und können, was sie tun („No
Slack“). „Bad Slack“ ist die nach Art,
Ausmaß und zeitlicher Verfügbarkeit
falsch dimensionierte Befähigung der Be-
legschaft. Mitarbeiter können, was nicht
R
Prof. Dr.
Manfred Becker
ist wissenschaft-
licher Leiter der
Eo Ipso Personal-
und Organisationsberatung GmbH
in Mainz. An der Martin-Luther-Uni-
versität Halle-Wittenberg hat er den
Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirt-
schaftslehre, Organisation und Perso-
nalwirtschaft inne.
Manfred Becker
personal.wiwi.uni-halle.de
AUTOR