personal- und organisationsentwicklung
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wirtschaft + weiterbildung
09_2015
tionalen Durchführungsorte reagierten,
stellte sich bald heraus, dass das Arbei-
ten auf der internationalen Bühne mit
deutlich höherer Komplexität und auch
physischer Kraftanstrengung verbunden
war. Zunächst war die Anreise wesent-
lich länger und aufwendiger und zum Teil
noch mit Zeitverschiebungen verbunden.
Darüber hinaus verlangte das tagelange
Arbeiten in englischer Sprache und das
sich Einstellen auf viele unterschiedliche
Nationalitäten eine wesentlich höhere
Aufmerksamkeitsleistung.
Wir mussten beobachteten, wie einige
der vor allem internen Kollegen überfor-
dert waren und sich nach und nach aus
dem Programm verabschiedeten. Das
Trainer-Team fragte sich: Welche Kompe-
tenzen brauchen wir selbst, um in die-
sem Kontext gut arbeiten zu können? Wir
begaben uns selbst auf eine Lernreise,
indem wir unseren eigenen interkultu-
rellen Lernprozess besprechbar machten.
Jeder Trainer bekam ein Testinstrument
an die Hand, das „Intercultural Develop-
ment Inventory“ von Mitch Hammer &
Milton Bennet.
Dabei handelt es sich um eine Typologie,
die Auskunft über die eigene Entwick-
lungsstufe bezüglich der interkulturellen
Kompetenz gibt. Mit diesem Instrument
ließen sich wertvolle Impulse für die ei-
gene Haltung gegenüber Unterschiedlich-
keiten ableiten. Und dieses Tool half auch
dabei, die Entscheidung zu treffen, dass
man internationales Arbeiten doch nicht
zum Schwerpunkt der eigenen Beratungs-
und Trainingspraxis machen möchte.
Dieser Reflexionsprozess erschien uns so
hilfreich, dass wir dieses Instrument auch
in das Curriculum aufnahmen.
Gleichzeitig haben wir das Trainerteam
neu aufgestellt: Kollegen aus den USA,
Frankreich und anderen Ländern ver-
stärkten das Team. In der weiteren, kul-
turübergreifenden Zusammenarbeit war
zwar oft mehr Abstimmung im Trainer-
team nötig, doch aus dieser Vergemein-
schaftung entstanden viele neue und
hilfreiche Impulse für die Weiterentwick-
lung des Programms. Über die Zeit ent-
stand eine neue Sicherheit, kompetent
in der Unterschiedlichkeit zu operieren
und die Differenzen als Vorteil zu nut-
zen. Dieses Beispiel zeigt, wie die eige-
nen mentalen Modelle und persönlichen
Stresspunkte der durchführenden Trainer
zwar einerseits die individuelle Leistung
und Produktivität bremsen, andererseits
aber auch den nächsten Lernschritt der
Organisation in einem solchen Entwick-
lungsprozess anstoßen können. Die Be-
arbeitung der Lernerfahrung als Team
in Form von Reflexion und Supervision
muss also als eigener Lernprozess der
Trainer parallel zum eigentlichen Rollout-
prozess installiert werden, wenn interna-
tionales Arbeiten wirklich gelingen soll.
Die bloße Existenz eines internationalen
Trainerteams ist kein Garant für gutes in-
ternationales Arbeiten.
Der weltweite Rollout und die
Lerneffekte der Trainer
Die weitere Durchführung und der welt-
weite Rollout war nach dem „Training on
the Job“-Prinzip konzipiert. Bereits er-
fahrene Kollegen arbeiteten jeweils einen
neuen Trainer während eines kompletten
Durchlaufs ein. Das war besonders span-
nend, als wir anfingen, auch in Südaf-
rika, Indien und USA zu arbeiten. Wir
als Lehrtrainer erlebten selbst, wie die
Lernkurve noch einmal steil anstieg – in
der Zusammenarbeit mit Trainern ande-
rer Kulturkreise, dem Kennlernen anglo
amerikanischer Modelle und Methoden
und nicht zuletzt, indem wir lernten, wie
unsere eigene Perspektive kulturellen Be-
dingtheiten unterlag.
Nach ein bis zwei Durchläufen zog sich
der Lehrtrainer dann wieder zurück, die
lokalen Trainerteams übernahmen die
weitere Durchführung. Allerdings muss-
ten wir in bestimmten Ländern erleben,
dass die Verweildauer der Mitarbeiter
zum Teil so kurz war, dass das aufge-
baute Know-how manchmal bereits nach
ein bis zwei Jahren wieder abgewandert
war. Ganz ohne einen regelmäßigen Er-
fahrungsaustausch im internationalen
Trainerteam konnte die Implementierung
also nicht gelingen.
Heute läuft das Programm in allen Regi-
onen weltweit nach einem einheitlichen
Grundkonzept. Natürlich hat auch jedes
Trainerteam die Aufgabe, situative Anpas-
sungen vorzunehmen. Nach einigen Jah-
ren stellten wir fest, dass die Fliehkräfte
einer weltweiten Organisation natürlich
eine unabhängige Weiterentwicklung des
Programms in den einzelnen Regionen
beförderten. Es bleibt kontinuierlich die
Aufgabe, das Spannungsfeld zwischen
Standardisierung einerseits und kultur
adäquater Durchführung andererseits si-
tuativ immer wieder neu auszutarieren.
Was aus diesem Fallbeispiel grundsätz-
lich zu lernen ist:
1.
Internationalisierung ist ein Entwick-
lungs- und Transformationsprozess, der
immer die ganze Organisation betrifft.
Strategische Neuausrichtung, Prozess-
und strukturelle Veränderungen (System-
qualifizierung) sowie der damit einher-
gehende Lernprozess der begleitenden
Personen (Personenqualifizierung) be-
einflussen sich wechselseitig und müssen
gut abgestimmt und begleitet werden,
um eine organisationale Kompetenz im
Thema zu erzeugen.
2.
Internationales Arbeiten ist für alle Be-
teiligten eine intensive persönliche und
kulturelle Lernerfahrung. Sie fordert dazu
heraus, die eigene Komfortzone zu ver-
lassen und individuelle Denkweisen auf
den Prüfstand der internationalen Verge-
meinschaftung zu stellen. Dies kann auch
einmal mit Irritationen und Krisen einher-
gehen. Umgekehrt belohnt die Aktion mit
überraschenden Entwicklungsmöglich-
keiten.
3.
Es geht nicht nur um Englischkennt-
nisse der Trainer. Erfolg im internatio-
nalen Umfeld ist eine Frage des indivi-
duellen Mindsets der Beteiligten, der
kollektiven mentalen Modelle sowie der
persönlichen sozialen Handlungskom-
petenzen. Diesen Entwicklungsprozess
zu reflektieren ist nicht nur für die Teil-
nehmer ertragreich, sondern auch für die
Trainer.
Dr. Matthias Vött
R
„Persönlicher Stress der Trainer kann die
Produktivität bremsen, andererseits aber auch den
nächsten Lernschritt der Organisation anstoßen.“