Schätzungen zufolge sind in deutschen
Unternehmen mehrere Hundert verschie-
dene Testverfahren im Einsatz. Nur ein
kleiner Anteil stammt aus der Forschung.
Der überwiegende Teil besteht aus ein-
fachen Übersetzungen aus dem Ame-
rikanischen oder Eigenentwicklungen
von Beratungsunternehmen. Letzteres
muss nicht zwangsläufig von Übel sein.
Selbstverständlich können auch Unter-
nehmensberater einen guten Test ent-
wickeln. Die Frage ist allerdings, ob die
Nutzer einen guten Test auch tatsächlich
von einem schlechten unterscheiden kön-
nen – und ob die Entwickler daher darauf
angewiesen sind, qualitativ hochwertige
Testverfahren zu entwickeln.
Ein Blick in die Praxis zeigt, dass in
deutschen Unternehmen sehr oft frag-
würdige Testverfahren zum Einsatz
kommen. Dies liegt vor allem daran,
dass die meisten Nutzer nicht über das
notwendige diagnostische Know-how
verfügen, um gute Tests von schlechten
zu unterscheiden. Wer selbst zu wenig
Expertise besitzt, orientiert sich zu stark
am Marketing der Anbieter. Genau hier
liegt das Problem. Schauen wir uns ein-
mal die wichtigsten Marketingstrategien
von Testanbietern an.
Strategie 1: Zufriedene
Kunden benennen
Viele Testanbieter argumentieren mit ei-
ner großen Anzahl zufriedener Kunden.
Mitunter wird auch namentlich der ein
Testverfahren können wertvolle Dienste in der Personal
diagnostik leisten – wenn die ausgewählten Verfahren
qualitativ hochwertig sind. Doch leider lassen sich Anwender
häufig von oberflächlichen Marketingversprechen der
Anbieter täuschen. Welche Überzeugungsstrategien sich
schnell als halbseidene Argumente entlarven lassen.
Von Prof. Dr. Uwe Peter Kanning
zugrunde gelegte Persönlichkeitstheorie
von C. G. Jung ist fast 100 Jahre alt. Solch
ein Test könnte nur dann sinnvoll sein,
wenn die Anwender ernsthaft davon aus-
gehen, dass es in 100 Jahren Persönlich-
keitsforschung keinen nennenswerten Er-
kenntnisfortschritt gegeben hat. Dies ist
ungefähr so wahrscheinlich wie die An-
nahme, dass eine mechanische Schreib-
maschine die gleichen Dienste leistet wie
ein moderner Computer.
Aus Sicht der Forschung ist der An-
satz, Menschen in Typen einzuteilen,
hoffnungslos veraltet und dies nicht zu-
letzt, weil er der Individualität der unter-
suchten Menschen nicht einmal ansatz-
weise gerecht wird. Dennoch werden
solche Verfahren wahrscheinlich auch in
20 Jahren noch massenhaft angewendet
und zwar vor allem deshalb, weil man es
schon so lange macht.
Strategie 3: Weite
Verbreitung anführen
Wenn schon die Zufriedenheit der Kun-
den und die jahrzehntelange Anwendung
eines Testverfahrens keine Aussage über
dessen Qualität ermöglichen, so gilt dies
auch für die Verbreitung eines Verfah-
rens. Letztlich spiegelt sich hierin ja
die Zufriedenheit sowie die Dauer der
Marktpräsenz. Mehr noch, wenn sich ein
schlechtes Testverfahren erst einmal am
Markt etabliert hat, so wird es zu einem
Selbstläufer. Potenzielle Neukunden, die
kein diagnostisches Know-how besitzen,
oder andere Personalchef erwähnt, der
sich lobend über ein Produkt äußert. Lei-
der sind diese Aussagen ohne jeden Wert.
Zum einen ist es nicht möglich, herauszu-
bekommen, wie viele Kunden tatsächlich
zufrieden sind, zum anderen sagt die Zu-
friedenheit der Nutzer gar nichts über die
Qualität eines Testverfahrens aus. Dies ist
ein altbekanntes Phänomen. So weiß man
beispielsweise seit Jahrzehnten, dass die
Zufriedenheit von Trainingsteilnehmern
nichts damit zu tun hat, ob sie tatsächlich
etwas lernen konnten oder gar das Ge-
lernte im Berufsalltag anwenden.
Zufriedenheit und Qualität sind leider
zwei verschiedene Paar Schuhe. Zufrieden
sind Anwender von Testverfahren, wenn
der Test wenig Arbeit bereitet, plausible
Ergebnisse liefert oder eine vorgefasste
Erwartung über einen Kandidaten bestä-
tigt. Hinzu kommt, dass die Anwender
mitunter viel Geld investiert haben und
daher vor sich selbst (und anderen) die In-
vestition rechtfertigen müssen. Schlechte
Testverfahren können daher ebenso leicht
Zufriedenheit erzeugen wie gute.
Strategie 2: Jahrzehntelange
Anwendung propagieren
Dass ein Testverfahren seit Jahrzehnten
erfolgreich vermarktet wird, sagt eben-
falls nichts über seine Qualität aus. Mit-
unter ist sogar das Gegenteil der Fall. Ein
gutes Beispiel hierfür liefern typologische
Verfahren, die Menschen zum Beispiel
in Farbtypen einteilen. Die sehr häufig
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Diagnostik