personalmagazin 3/2019 - page 71

Mündige Kunden lassen sich nicht auf ein
solches Spiel ein und suchen sich einen
anderen, seriöseren Anbieter.
Strategie 6: Fachbegriffe
absichtlich fehldeuten
Manche Anbieter spielen mit der sinn-
entleerten Verwendung diagnostischer
Fachbegriffe. Hierzu zählt beispielsweise
der Hinweis, dass ein bestimmter Com-
putertest objektiver sei als jeder Perso-
naler. In den Ohren diagnostischer Laien
klingt dies so, als sei der Test daher auch
aussagekräftiger als jedes Einstellungs-
interview. Diese Schlussfolgerung ist lei-
der falsch. Der Trick funktioniert, sofern
der Kunde nicht weiß, dass der Begriff
der Objektivität in der Diagnostik etwas
anderes meint als im Alltag. Im Alltag
verwenden wir das Wort „objektiv“, um
auszudrücken, dass eine bestimmte Aus-
sage richtig sei. In der Diagnostik bedeu-
tet Objektivität lediglich, dass der Unter-
suchungsleiter keinen Einfluss auf das
Ergebnis der Untersuchung nimmt. Mit
anderen Worten: Jeder beliebige Compu-
tertest ist objektiver als jeder Mensch, der
zum Beispiel ein Einstellungsinterview
durchführt. Dies sagt jedoch noch nichts
darüber aus, ob der Test auch sinnvolle
Aussagen ermöglicht. So ließe sich bei-
spielsweise die Fußgröße eines Bewer-
bers vollkommen objektiv erfassen und
dennoch wäre ein Auswahlverfahren, das
mit der Fußgröße der Bewerber arbeitet,
wenig hilfreich. Eine hohe Objektivität
ist eine wichtige, aber keineswegs hinrei-
chende Bedingung für einen guten Test.
Strategie 7: Statistische
Kennwerte schönen
Ein sehr wichtiges Qualitätskriterium ist
die Reliabilität. Sie gibt Auskunft über die
Größe des Messfehlers. Je geringer die
Reliabilität ausfällt, desto weniger präzise
kann eine Aussage über die Eigenschaften
eines Menschen getroffen werden. Eine
Form der Reliabilität ist die sogenannte
Retest-Reliabilität. Hierbei wird über-
prüft, ob die Messergebnisse über meh-
rere Monate hinweg stabil bleiben. Wenn
wir beispielsweise die Gewissenhaftigkeit
eines Bewerbers testen, so sollte das Er-
gebnis heute und in einem halben Jahr
weitgehend identisch sein, da sich ein
Persönlichkeitsmerkmal in einem solch
kurzen Zeitraum normalerweise kaum
verändert. Ein Trick besteht nun darin,
die Reliabilität über einen extrem kurzen
Zeitraum etwa von nur einem einzigen
Tag zu berechnen, um künstlich einen
sehr hohen Wert zu erzeugen. Erfasst ein
Persönlichkeitsfragebogen fünf Persön-
lichkeitsmerkmale, so müssen zudem
fünf Angaben zur Reliabilität vorliegen.
Manche Anbieter geben nur einen Wert
an und verschleiern so die Schwächen
einzelner Persönlichkeitsskalen.
Das wichtigste Qualitätsmerkmal eines
Testverfahrens ist seine Validität. In der
Personalauswahl geht es darum, die beruf-
liche Leistung eines Bewerbers über einen
Zeitraum von mehreren Jahren zu prog-
nostizieren, genauer gesagt geht es um die
prognostische Validität. Zumindest aber
sollte ein Testanbieter nachweisen, dass
sein Verfahren in einem sinnvollen Zu-
sammenhang zu relevanten Kriterien wie
etwa der derzeitigen Arbeitsleistung oder
der Arbeitszufriedenheit steht. Testanbie-
ter, welche die Aussagekraft ihrer Tests
schönen wollen, greifen auch hier gern zu
einer List: Sie untersuchen ausschließlich
Korrelationen zu anderen Testverfahren
und verraten nichts darüber, inwieweit
die Testergebnisse mit berufsrelevanten
Kriterien in Beziehung stehen. So wird
beispielsweise berichtet, dass der eigene
Test zu 16 Prozent mit der Gewissenhaftig-
keit der Bewerber korreliert. Diese legitime
und gegebenenfalls wichtige Information
sagt jedoch nichts darüber aus, ob der Test
auch eine nennenswerte Relevanz im be-
ruflichen Alltag besitzt. Die Gewissenhaf-
tigkeit erklärt im Durchschnitt nur etwa
fünf Prozent der beruflichen Leistung. Der
Test des Anbieters würde hiervon nur 16
Prozent prognostizieren, und damit mick-
rige 0,8 Prozent der beruflichen Leistung
erklären (16 % von 5 % = 0,8 %).
Den mündigen Kunden
entscheiden lassen
Dies sind einige geläufige Marketingstra-
tegien, mit denen Testanbieter einen fal-
schen Eindruck von der Qualität ihrer
Produkte vermitteln. Wer diesen und ähn-
lichen Strategien nicht auf den Leim ge-
hen will, sollte sich fachlich qualifizieren
und als mündiger Kunde auftreten. Bis
dahin dürfte die Entscheidung über ein
bestimmtes Verfahren in vielen Unterneh-
men in den Händen einer Psychologie-
praktikantin besser aufgehoben sein als in
den Händen der Geschäftsführung.
In deutschen
Unternehmen
sind sehr oft
fragwürdige
Testverfahren
im Einsatz.
Es mangelt am
diagnostischen
Know-how, um
gute Tests von
schlechten zu
unterscheiden.
Das machen sich
die Testanbieter
zunutze.
PROF. DR. UWE PETER KANNING ist be­
kannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu
nehmen, wenn es um unseriöse Metho­
den in der Personalarbeit geht. Sie sind
einer seiner Forschungsschwerpunkte
an der Hochschule Osnabrück.
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Diagnostik
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