personalmagazin 3/2019 - page 73

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Empfehlungsprogramme
Das Thema „Mitarbeiterempfehlung“ wird dank verschie-
dener Start-ups und deren Apps gerade sehr gefeiert – da-
bei ist die Empfehlung an sich ja keine neue Erfindung. In Zeiten
des Fachkräftemangels dürfen Unternehmen nichts unversucht
lassen. Aber haben die Firmen auch ihre Hausaufgaben ge-
macht? Der Gallup-Engagement-Index zeigt seit Jahren durch-
gängig, dass rund 70 Prozent der Mitarbeiter nur eine geringe
emotionale Bindung an den aktuellen Arbeitgeber haben. Hier
geht es also um ein Dauerthema, das bislang offenbar eher stief-
mütterlich behandelt wurde. Da überrascht es dann auch wenig,
wenn aus der Gruppe der emotional gering Gebundenen nur 25
Prozent ihren Arbeitgeber an Freunde und Familienangehörige
empfehlen würden – von den potenziellen Kündigungsabsichten
mal ganz abgesehen. Was nützt also eine schicke App, wenn ich
nicht auf den „Empfehlen“-Button drücke?
Der Empfehler ist in der Pflicht
Natürlich wird es auch weiterhin Empfehlungen geben. Da-
bei geht es gleich um die nächste Unternehmenshausaufgabe,
nämlich die Prozessqualität im Bewerbermanagement. Um die
ist es insgesamt nicht mehr gut bestellt. Ärgerten sich externe
Bewerber bislang im stillen Kämmerlein über unpraktische
Online-Tools, mangelnde Prozesstransparenz, schleppende In-
formationen und lieblose Kommunikation, so landet dieses
Feedback nun beim internen Empfehler. Schließlich hat der ihn
ja angesprochen. Dieser fühlt sich natürlich dem Bekannten oder
Freund gegenüber verpflichtet, kann aber meist an den internen
Prozessen wenig ausrichten. Ob jemand nach einer solchen Er-
fahrung noch einmal eine Empfehlung ausspricht? Und wie läuft
generell die Information aus der Personalabteilung in Richtung
Empfehler und die Einbindung des Betriebsrats? In Zeiten der
DSGVO und des AGG ist das sicher keine leichte Aufgabe. Be-
sonders knifflig wird die Situation, wenn der Empfohlene die
Probezeit nicht übersteht.
Bleiben wir noch ein wenig beim Empfehler und blicken
auf die Altersgruppe und den damit verbundenen „Kohorten-
effekt“. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Empfehlerumfeld aus
ähnlichen Jahrgängen besteht, ist groß: 50-Jährige kennen
überwiegend 50-Jährige. Das muss man dann weiterdenken:
Steht ein Unternehmen vor einem Generationenwechsel, wird
es auch verstärkt auf andere Recruitingkanäle setzen müssen,
um die richtige Zielgruppe zu erreichen. Will es Diversität,
dann sollte es sich dieser Mechanik ebenfalls bewusst sein.
Auch in Sachen Firmenkultur kann es Probleme geben, weil
es durch Empfehlungen zum „Firma-in-der-Firma-Phänomen“
kommen kann. Ein neuer, begeisterter Mitarbeiter empfiehlt
erfolgreich mehrere ehemalige Kollegen – und schon werden
Werte und Umgangsweisen des vorherigen Arbeitgebers trans-
feriert oder, weniger freundlich formuliert, „eingeschleppt“.
Manch ein Unternehmen hat so schon einen unfreiwilligen
Kulturwandel erlebt.
Kopfprämien für den Empfehler
Mit der Empfehlung stellt sich auch immer wieder die Frage
nach einer Bezahlung für den Tippgeber. Solche „Kopfprämien“
sind in besonders umkämpften Berufsfeldern wie der Pflege
keine Seltenheit mehr. Je geringer das Gehalt, desto attraktiver
sind natürlich solche finanziellen Extras. Da ist man dann aber
schnell im Grenzbereich zum gezielten Abwerben. Es drängt sich
die Frage auf, wie genau der Empfehler sich im Zweifelsfall für
die Eignung des Kandidaten interessiert. Wenn man unmittelbar
zusammenarbeitet, ist das Interesse weiterhin groß. Aber wenn
es in einem großen Unter-
nehmen um einen völlig an-
deren Bereich geht?
Die Empfehlung kommt
also nett und freundlich da-
her, hat aber auch einige
nicht zu unterschätzende
Nebenwirkungen. An Kom-
munikation, Transparenz
und Prozessqualität werden
hohe Ansprüche gestellt.
Und für manches Unterneh-
men rächt es sich nun, sich
nicht beizeiten um die Mit-
arbeiterbindung gekümmert
zu haben. Die hat ja einen
Doppeleffekt: Wer nicht geht,
muss nicht ersetzt werden.
Wer emotional gebunden ist,
empfiehlt den Arbeitgeber zu
69 Prozent weiter – mit oder
ohne App.
Nicht ohne
Risiken
und Neben-
wirkungen
PETRA COCKRELL ist selbst­
ständige Jobprofilerin mit den
Schwerpunkten Bewerbung
und Mitarbeiterbindung.
Sie arbeitete viele Jahre in
internationalen Unternehmen.
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