personalmagazin 9/2017 - page 37

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09/17 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
DR. PETRA KÖPPEL
beglei-
tet als Inhaberin des Bera-
tungsunternehmens Synergy
Consult seit über acht Jahren
als eine der ersten Diversity-Beraterinnen
Unternehmen bei der Einführung und Wei-
terentwicklung von Diversity Management.
Tandem zu teilen – die bisherige Abstim-
mung während der Elternzeit lief bereits
reibungslos. Sie deklarierten ihr Arbeits-
zeitmodell zunächst als Experiment mit
der Option, das Ganze zu überdenken,
sollte es nicht funktionieren.
Doch das Experiment ging auf: Statt
der zunächst vorgesehenen sechs Mo-
nate arbeiten sie nun seit bereits zwei
Jahren zusammen. Im Nachhinein er-
zählen die Führungsfrauen: „Unsere
Ansprechpartner kannten uns beide
und wussten daher, worauf sie sich ein-
lassen.“ Beide sind an einem Tag in der
Woche gemeinsam im Büro präsent. Die
restlichen Tage teilen sie sich flexibel auf.
Das Team hat nun zwei Chefinnen, die
je eigene Schwerpunkte im Blick behal-
ten. Gleichzeitig kann sich jedes Team-
mitglied auf einen engen Austausch der
Geschäftsführerinnen verlassen. Jedes
Mitglied führt sein Mitarbeitergespräch
mit jeweils einer von ihnen.
Nestlé hat erkannt, dass das Ganze
mehr ist als die Summe seiner Teile –
Perspektivwechsel inklusive. Beide Ge-
schäftsführerinnen erhalten zahlreiche
interessierte Anfragen zu ihrem Vierau-
genmodell. Inzwischen gibt es bei Nestlé
ein zweites Tandem.
Jobsharing mit vier Kindern bei der
Versicherungskammer Bayern
Verena Haller ist seit 1997 bei der Versi-
cherungskammer Bayern und studierte
berufsbegleitend BWL. Seit 2004 arbei-
tet sie als Führungskraft, davon drei
Jahre in Teilzeit. Seit 2014 teilt sich die
zweifache Mutter im Ressort Marketing
und Vertrieb die Abteilung Vertriebs-
veranstaltungen mit ihrer Jobsharing-
Partnerin.
Claudia Duldinger, Diplom-Betriebs-
wirtin, kam 2003 zur Versicherungs-
kammer Bayern und stieg dort im
Pensionsmanagement mit Schwerpunkt
Marketing ein und sammelte anschlie-
ßend Erfahrungen in der Krankenversi-
cherung. Nach der Geburt ihres Sohnes
und der Elternzeit wechselte sie ins
Konzernmarketing in den Bereich Ver-
triebsveranstaltungen. Seit Anfang 2014
arbeitet sie, mittlerweile mit zwei Kin-
dern, als Führungskraft im Jobsharing.
„Eigentlich hatte ich nach der Geburt
meines Sohnes eine Stelle als Führungs-
kraft in Teilzeit abgeschrieben. Dann
kam noch während meiner Elternzeit
ein Anruf, ob ich mir ein Jobsharing-Mo-
dell vorstellen könnte“, erzählt Claudia
Duldinger. Verena Haller ging es nach
der Geburt ihres zweiten Kindes ähn-
lich. Doch nachdem die beiden gleich
beim ersten Telefonat harmonierten,
entschlossen sie sich, sich gemeinsam
auf die offene Stelle einer Abteilungslei-
tung „Vertriebsveranstaltungen“ zu be-
werben - und schlugen im Assessment
Center zwei Vollzeitmitbewerber. Die
Vorgesetzte wurde überzeugt durch die
exzellente Leistung der Kandidatinnen
im Bewerbungsprozess plus die Summe
an Erfahrungen und Perspektiven. Denn
Verena Haller und Claudia Duldinger
ergänzen sich hervorragend - die eine
bringt das Wissen über Marketing mit,
die andere die Führungserfahrung; die
eine ist in der Welt der Kosten zuhau-
se, die andere kennt sich mit Konzepten
aus.
Claudia Duldinger und Verena Haller
teilen sich die Abteilungsleitung mit
allen Rechten und Pflichten. Das heißt,
fachlich immer auf dem Laufenden zu
sein und disziplinarisch für alle Mitar-
beiter gemeinsam in der Verantwortung
zu stehen. Die Herausforderung liegt
darin, dass die beiden einen fließenden
Infotransfer finden, konsequent vor den
Mitarbeiterinnen Konsens zeigen sowie
sich gegenseitig vertrauen. Die beiden
sind jeweils für eigene Veranstaltungen
zuständig, müssen aber immer infor-
miert sein über sämtliche Vorgänge, um
den Überblick zu haben und auskunfts-
fähig zu sein. Der Kommunikationsfluss
zwischen den beiden wurde dabei lau-
fend optimiert und hat sich zwischen-
zeitlich sehr gut eingespielt.
Nicht alle waren seinerzeit überzeugt,
dass Führung teilbar sei. Die beiden Ab-
teilungsleiterinnen beweisen tagtäglich
das Gegenteil - eine anonyme Mitarbei-
terbefragung in ihrem Team bestätigte,
dass das Team dieses Modell toll findet
und mitträgt.
Die Versicherungskammer Bayern
steht voll und ganz dahinter – es braucht
alle Führungskräfte, vor allem auch die
Frauen, wenn sie nach der Elternzeit
wieder einsteigen. So baut man derzeit
in einem Projekt eine Jobsharing-Platt-
form auf, um in Zukunft weitere Tan-
dems bilden zu können.
Fazit: Individualität statt Patentrezept
Den größten Vorwurf, den man dem Job-
sharing machen kann, ist, dass es dafür
kein Patentrezept gibt. Jedes Tandem
muss individuell konzipiert werden. In
allererster Linie muss es zwischen den
Tandempartnerinnen menschlich stim-
men und natürlich auch fachlich und
methodisch - nur wenn sie in großen
Teilen Übereinstimmung zeigen, klappt
eine gemeinsame Besetzung der Position.
Und natürlich heißt es dann auch, den
persönlichen Bedarf mit den Anforderun-
gen der Stelle in Einklang zu bringen. Je
nach Aufgabe können sich die Tandem-
partner die Stelle nach Themenbereichen
aufteilen, oder sie teilen das Team auf
oder die Arbeitstage. Und was der Ar-
beitgeber ebenso einkalkulieren muss:
Eine gewisse zeitliche Überlappung zur
Abstimmung und Koordination ist zwin-
gend erforderlich - sodass es meist 60- bis
70-Prozent-Stellen pro Tandempartner
sind, die vorgesehen werden müssen.
Die Tandems bei Unilever, Nestlé, Luft-
hansa und der Versicherungskammer Ba-
yern zeigen, dass Jobsharing Chancen für
alle Seiten bietet und dass geteilte Arbeit
doppelten Erfolg bedeuten kann.
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