personalmagazin 9/2017 - page 32

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MANAGEMENT
_EIGNUNGSDIAGNOSTIK
personalmagazin 09/17
PROF. DR. MARTIN
KERSTING
ist Professor für
Psychologische Diagnostik an
der Justus-Liebig-Uni Gießen.
anderen Verfahren gelingen, einen Indi-
kator für Intelligenz zu gewinnen – wenn
auch mit Abstrichen in der Qualität und
mit Aufschlägen im Aufwand. Aber wa-
rum sollte man das tun? Hier kommt das
letzte Argument zum Zug.
Vorurteil sechs:
Intelligenztests sind nicht akzeptiert.
Die soziale Akzeptanz von Personalaus-
wahlverfahren ist ein wichtiger Aspekt.
Zu Recht fürchtet man in Zeiten des Per-
sonalmangels, gute Kandidaten mit in-
akzeptablen Verfahren abzuschrecken
oder durch (medial verbreitetes) Gerede
als Arbeitgeber einen schlechten Ruf zu
bekommen. Aber sind Intelligenztests
wirklich unbeliebt bei Kandidaten? Zu
dieser Frage liegen Daten aus 18 Län-
dern vor, die Neil Anderson, Jesús F.
Salgado und Ute R. Hülsheger 2010 me-
taanalytisch zusammengefasst haben.
Intelligenztests werden demzufolge ins-
gesamt gut akzeptiert, sie gehören zu
den am meisten favorisierten Verfahren.
Die befragten Personen wählen Intelli-
genztests hinsichtlich der Aspekte der
wissenschaftlichen Fundiertheit und
Wahrung der Privatsphäre auf Platz eins
unter allen Verfahren. Kritisiert wird
an Intelligenztests die fehlende zwi-
schenmenschliche Wärme. Der zuletzt
genannte Punkt spricht noch einmal
dafür, Intelligenztests nicht isoliert ein-
zusetzen, sondern beispielsweise mit
einem Interview zu kombinieren. Das
Interview wird hinsichtlich der zwi-
schenmenschlichen Wärme besonders
positiv bewertet.
Allerdings liegen den Studien zwar Da-
ten von Tausenden Personen zugrunde,
aber nicht unbedingt (nur) von Kandi-
daten für Top-Positionen. Diesbezüglich
bedarf es noch weiterer Forschung. Aus
anderen Studien ist bekannt, dass insbe-
sondere die sogenannte „Augenschein-
validität“ der Verfahren erfolgskritisch
für die Akzeptanz ist. Damit ist in diesem
Kontext gemeint, dass die Kandidaten
einen Bezug zwischen dem Auswahlver-
fahren und den Anforderungen im Beruf
erkennen können. Und das ist nicht der
Fall, wenn man herkömmliche Intelli-
genztests mit geometrischen Figuren,
Rechenaufgaben aus der Schule, lexika-
lischen Wissensfragen und abstrakten
Syllogismen nutzt.
Mittlerweile gibt es aber Intelligenz-
tests, die nach Art einer Fallstudie auf-
gebaut sind. Beispiele für solche Tests
finden sich im Kasten „Beispiele“. Eines
dieser Verfahren, den „Smart-Test“, ha-
be ich selbst entwickelt. Das möchte ich
hier offenlegen, damit jeder diesen Um-
stand bei der Bewertung der Argumente
berücksichtigen kann.
Die Aufgaben solcher Tests sind kon-
textualisiert: Wie im Assessment Cen-
ter wird eine „Coverstory“ geschaffen,
aus der heraus sich die Aufgaben (zum
Beispiel das Interpretieren von Stati-
stiken und Charts zu wirtschaftsnahen
Themen oder das Verstehen komplexer
Zeitungstexte) ergeben. Natürlich erfolgt
die Bearbeitung der Tests am Computer.
Häufig stehen Hilfsmittel, die im Alltag
zur Verfügung stehen (zum Beispiel
Taschenrechner), auch in der Testsitu-
ation zur Verfügung. Was aus der Welt
der klassischen Intelligenztests bewahrt
wurde, ist die Objektivität: Die richtige
Lösung ist anzukreuzen – und auch der
sprachlich gewandte Kandidat muss hier
Farbe bekennen und gegebenenfalls un-
freiwillig offenbaren, dass er nicht in der
Lage ist, wesentliche Informationen ei-
ner Tabelle zu erfassen.
Aus Akzeptanzgründen empfiehlt es
sich, auf das belastete Wort „Intelligenz“
zu verzichten und stattdessen von „ko-
gnitiver Kompetenz“, „kognitiver Agili-
tät“, „Lernfähigkeit“ oder der „Fähigkeit
zum Problemlösen“ zu sprechen oder die
Worte zu nutzen, die gerade in sind für
das, was seit Jahrhunderten beruflich re-
levant ist: die Intelligenz.
Beispielansicht einer Aufgabe
aus einem „kontextualisier-
ten“ Intelligenztest (Smart)
1...,22,23,24,25,26,27,28,29,30,31 33,34,35,36,37,38,39,40,41,42,...92
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