PERSONALquarterly 2/2019 - page 31

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02/19 PERSONALquarterly
wertet. Dabei blieb weitgehend unberücksichtigt, wie Kollegen
oder Prozesspartner den Mitarbeiter einschätzen, wie sich die
Zusammenarbeit aus ihrer direkten Perspektive – also auf glei-
cher Ebene – gestaltet. Uns war es sehr wichtig, dass künftig
unterschiedliche Perspektiven auf ein Managementtalent eine
Rolle spielen. In der Entwicklungsphase bewerten also künftig
nicht nur Mitarbeiter übergeordneter Hierarchieebenen das Ta-
lent in unterschiedlichen Alltagssituationen, sondern in einigen
Beurteilungssituationen auch die direkten Kollegen, also das
konkrete Arbeitsumfeld (vgl. Abb. 2).
PERSONALquarterly:
Wie wird das Feedback eingeholt?
Rosenthal:
Eine Feedback-App begleitet als zentrales IT-Tool für
Talent, Beurteiler und Personaler den gesamten Prozess. Zu-
nächst beschreibt das Talent in der Feedback-App seine gewählte
Praxissituation, die eigene Rolle darin und die zentrale Heraus-
forderung und sendet diese Kurzbeschreibung an einen idealer-
weise zuvor persönlich angefragten Beurteiler. Der Beurteiler
wiederum gelangt via Link in die Feedback-App und schaut sich
die Anfrage des Talents auf Basis der Situationsbeschreibung
an. Er kann dann entscheiden, ob er die Aufgabe des Beurteilers
annehmen möchte. In der Praxissituation werden unterschied-
liche fest definierte Kriterien auf einer fünfstufigen Skala durch
den Beurteiler bewertet. Wichtig ist, dass der Beurteiler das
Talent dreimal in der Praxissituation zu drei unterschiedlichen
Zeitpunkten erleben muss, um am Ende ein Gesamtfeedback
abzugeben. Das Talent kann sofort nach Eingabe der Werte des
Beurteilers seine Bewertung in der entsprechenden Praxissitu-
ation in der App einsehen. Damit herrscht größtmögliche Trans-
parenz. Das Talent soll dabei auch die Möglichkeit haben und
diese bei Bedarf nutzen, Rückfragen an den Beurteiler zu stellen
und am Feedback zu wachsen.
PERSONALquarterly:
Können die Situationen nicht sehr unter­
schiedliche Schwierigkeitsgrade aufweisen? Könnte das Verfah­
ren dadurch unfair werden?
Hilgers:
Die Niveaufindung ist in der Phase der Einführung des
Prozesses für alle Beteiligten neu. Wir haben in einem Leitfa-
den Beispiele für mögliche Praxissituationen formuliert und
geben damit Orientierung. Der Leitfaden steht allen Prozess-
beteiligten zur Verfügung. Die für das Talent zuständigen Per-
sonaler können auf Wunsch des Talents auch beraten, ob die
gewählte Praxissituation den Anforderungen entspricht und
geeignet ist. Und sie führen sog. Plausibilitätschecks durch,
sodass der Schwierigkeitsgrad von Beginn an einer Art Quali-
täts-Check unterworfen ist. Darüber hinaus tauschen wir uns
regelmäßig mit den Personalreferenten aus und beantworten
gemeinsam Fragen, um ein einheitliches Niveau der Situati-
onen über alle Geschäftsbereiche zu erreichen. Daher sind uns
intensive Beratung und Begleitung zu Beginn der Prozessein-
führung sehr wichtig.
PERSONALquarterly:
Wie stellen Sie sicher, dass das Feedback nicht
sehr taktisch gegeben wird und Abhängigkeiten geschaffen
werden?
Rosenthal:
Mit dem neuen Prozess stärken wir die Verantwor-
tung für die Auswahl der zukünftigen Manager in den Ge-
schäftsbereichen. Verantwortung bedeutet hierbei, im Sinne
des Unternehmens zu handeln und die richtigen Kandidaten
ins Management zu entwickeln und auch konstruktiv kri-
tisches Feedback zu geben, wo dies angemessen und notwen-
dig ist. Daher ist uns sehr an der Multiperspektivität gelegen.
Mehrere Personen auf unterschiedlichen Ebenen müssen ein
Talent wiederholt beurteilen.
Letztlich bedeutet das, dass im Sinne der unternehmerischen
Verantwortung auch mal ein Entwicklungsweg ins Manage­
ment beendet wird. Dafür haben wir in den durchgeführten
Informationsveranstaltungen sensibilisiert und werden dies
auch weiterhin tun. Denn mit strategischen Feedbacks ist dem
Unternehmen im Sinne der Zukunftssicherung nicht geholfen.
PERSONALquarterly:
Was zeichnet die Sichtungsphase aus? Was ist
hier anders als in der Entwicklungsphase?
Hilgers:
Im Vergleich zur Entwicklungsphase steigen die Anfor-
derungen an das Talent in der Sichtungsphase. Wir können in
dieser Phase davon ausgehen, dass sich das Talent kurz vor
der Übernahme einer managementwertigen Funktion befindet.
Daher steht in dieser Phase die sog. managementähnliche Auf-
gabe imMittelpunkt. Das Talent soll hier beweisen, dass es Auf-
gaben lösen kann, die auch im Management gestellt werden.
Kann es z. B. ein komplexeres Projekt mit strategischer Reich-
weite ins Ziel bringen? Welche Herausforderungen sind dort zu
bewältigen und wie geht das Talent damit um? Es geht uns hier
nicht nur um die Durchführung der managementähnlichen
Aufgabe, sondern auch um die anschließende Präsentation und
die intensive Auseinandersetzung mit den Ergebnissen.
Zusammengefasst heißt das: Während sich die Talente in
der Entwicklungsphase noch in verschiedenen Praxissituati-
onen probieren können, prüft die Sichtungsphase die bereits
bestehenden Management- und/oder Führungskompetenzen.
PERSONALquarterly:
Während beim AC einmalig eine Stresssitu­
ation entsteht, stehen die High Potentials nun unter ständiger
Beobachtung? Ist dies nicht eine Dauerstresssituation, wenn
ich weiß, die Feedbacks entscheiden über meine persönlichen
Karrierechancen?
Rosenthal:
Viele unserer Talente haben das Management AC,
so wie Sie es auch beschreiben, als sehr intensive Stresssitua­
tion erlebt, da es um Bestehen und Nichtbestehen ging mit
allen Konsequenzen für die eigene weitere berufliche Ent-
wicklung. Im neuen Managementprozess haben die Talente
die Chance, sich in realen Arbeitssituationen, also in ihrem
Arbeitsalltag, beurteilen zu lassen. Wir schaffen also keine
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