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ESSENTIALS
_REZENSIONEN
PERSONALquarterly 02/16
S
owohl dem selbstverwalteten Team, dessen Mitglieder
sich wechselseitig evaluieren, als auch dem 360-Grad-
Feedback kommt eine immer größere Bedeutung zu.
Analog zu den Verzerrungen, denen Vorgesetzte bei
der (Leistungs-)Beurteilung ihrer Mitarbeiter erliegen (z.B. ha-
lo effect, leniency bias), ist das Wissen über Merkmale sozialer
Beziehungen, die das Feedback unter Mitarbeitern beeinflus-
sen können, dementsprechend von großer Bedeutung für For-
schung und Praxis. Dabei gilt sowohl bei der Beurteilung durch
den Vorgesetzten als auch durch Kollegen, dass diese unter
Unsicherheit über die tatsächliche Leistung, Potenzial für eine
Beförderung etc. erfolgt. Unvollständige Informationen werden
dabei durch allgemeinere persönliche Eindrücke von der zu be-
urteilenden Person ergänzt – bspw. auf Basis der Einschätzung
von Persönlichkeitseigenschaften, die je nach Perspektive des
Beurteilenden positiv oder negativ konnotiert sein können.
Erez und Kollegen gehen davon aus, dass Personen mit
hoher Extraversion und geringer Verträglichkeit (d.h. wenig
vertrauensvolle, mitfühlende, hilfsbereite etc. Personen) aus
der Perspektive von introvertierten Personen einen negativen
Eindruck erzeugen, welcher auf deren Leistungsbeurteilung
(negativ) ausstrahlt. Die Gründe hierfür sehen die Autoren in
den widersprüchlichen Präferenzen von introvertierten und
extrovertierten bzw. weniger verträglichen Personen bezüg-
lich sozialer Interaktionen. Bspw. steht der Präferenz intro-
vertierter Personen für harmonische soziale Beziehungen das
konfliktorientierte Verhalten von Personen mit geringer Ver-
träglichkeit (streitlustig, inflexibel, unkooperativ) sowie die
soziale Dominanz und Durchsetzungsfähigkeit extrovertierter
Personen gegenüber.
Im Rahmen eines Feldexperiments wurden Studierende zu
Beginn eines Managementkurses in Teams eingeteilt, um zur
Mitte des Semesters die Leistung der Teammitglieder hinsicht-
lich Aufgabenerfüllung, Kreativität etc. zu beurteilen. Die Ana-
lysen bestätigen, dass introvertierte Studierende introvertierte
und verträgliche Teammitglieder besser als extrovertierte und
weniger verträgliche Teammitglieder bewerten. Obschon die
Differenz geringer ausfällt, bewerten allerdings auch extro-
Leistungsbeurteilung
durch Introvertierte
Amir Erez
(University of Florida),
Pauline Schilpzand, Keith
Leavitt
(Oregon State University),
Andrew H. Woolum
(Uni-
versity of Florida) und
Timothy A. Judge
(University of Notre
Dame). „Inherently relational: Interactions between peers´ and
individuals´ personalities impact reward giving and appraisal
of individual performance”. Academy of Management Journal,
2015, Vol. 5, No. 6, pp. 1761–1784.
vertierte Studierende entgegen den Erwartungen der Autoren
ihre weniger verträglichen Teammitglieder schlechter als die
verträglichen. Zusätzlich führten die Autoren ein Laborexpe-
riment auf Basis eines Kreativitätsspiels mit einer studen-
tischen Stichprobe und simulierten Teammitgliedern durch.
Während der Grad an Extraversion und Verträglichkeit des
zu bewertenden „Teammitglieds“ über eine Persönlichkeits-
beschreibung sowie simulierte Kommentare zum Verhalten
anderer Teammitglieder experimentell manipuliert wurde, war
die Leistung des zu bewertenden „Teammitglieds“ über alle
Bedingungen hinweg konstant. Die Ergebnisse zur Beurtei-
lung der Leistung dieses „Teammitglieds“, der Befürwortung
einer Beförderung in einem hypothetischen Szenario sowie der
Vergabe eines durch den Studienteilnehmer nach Gutdünken
zu vergebenden Gutscheins deckten sich mit denen zur Leis
tungsbeurteilung im Feldexperiment. Zusätzlich zeigte sich,
dass die differenzielle Bewertung durch introvertierte Studien-
teilnehmer teilweise durch eine geringere Sympathie für das
zu bewertende „Teammitglied“ und eine größere Sensibilität
für dessen Persönlichkeitseigenschaften vermittelt wurde (in-
trovertierte Studienteilnehmer bewerteten diese extremer als
extrovertierte).
Die Autoren selbst merken kritisch an, dass nicht eindeutig
von einer Verzerrung der Beurteilung, die von Eigenschaf-
ten der Dyade Beurteilender-Beurteilter ausgeht, gesprochen
werden kann. Da Leistung multidimensional ist, kann die
differenzielle Beurteilung der Leistung nach Extraversion
und Verträglichkeit (durch introvertierte Personen) auch
einen „Abschlag“ auf tatsächlich existierende Leistungsun-
terschiede in anderen, in den Studien unberücksichtigten
Dimensionen reflektieren (z.B. negative Auswirkungen cha-
rakteristischer Verhaltensweisen auf die kollektive Teamleis
tung). Davon unberührt sind die praktischen Implikationen
für die Zusammenstellung von Teams, über welche die Zu-
friedenheit mit dem Arbeitsumfeld gesteuert und damit das
organisationale Commitment von Mitarbeitern sichergestellt
werden kann.
Besprochen von
Benjamin P. Krebs
, Lehrstuhl International
Business, Universität Paderborn